: Mit Schärpe und Käppi für die deutsche Einheit
■ Gestern begann mit einer Pressekonferenz die Tagung der Deutschen Burschenschaften zur Frage „Was ist das Deutsche Vaterland?“ / Schlagende und Farbentragende machen sich auch an den DDR-Universitäten breit / Außer Burschen nun auch „Farbenschwestern“
Das Vaterland ruft - die deutschen Burschenschaften kommen. In den Westteil der alten deutschen Reichshauptstadt sind sie geeilt, um auf einer Tagung zu ergründen: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Dieser Frage gehen sie seit gestern zwei Tage lang im feudalen Hotel Intercontinental nach.
Sichtlich zufrieden konstatieren die Herren mit Schärpe und buntem Käppi, daß die deutsche Frage seit dem 9.November auf den Punkt zusteuert, an dem sie sie schon immer haben wollten: „Deutschland - einig Vaterland“. Daß dieser Ruf wie Donnerhall von drüben braust - ein schöneres Geburtstagsgeschenk hätten die Brüder und Schwestern im Osten den deutschen Burschenschaften nicht bereiten können. Denn in diesem Jahr feiern sie ihr 175jähriges Bestehen. Die deutsche Einheit haben sie auf ihre Fahnen geschrieben, seit an einem Junitag des Jahres 1815 in Jena die „Urburschenschaft“ aus der Taufe gehoben wurde. Im Jubiläumsjahr nun sind „Burschenschaften wieder in allen erreichbaren Parteien, Verbänden, Initiativen und Studentengruppen daran, den Kampf für die staatliche Einheit Deutschland zu Ende zu bringen“.
Sorge bereitet ihnen bei diesem Kampf nicht mehr so sehr der Osten; den Westen meinen sie (vorsichtig noch) tadeln und warnen zu müssen ob seiner Vorbehalte gegen die Wiedervereinigung. Die allierten Vorbehaltsrechte über Deutschland drohen in den Augen der Burschenschafter das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen zu verletzen. Vor allem aber Europa: ähnlich wie die Republikaner wehren sie sich gegen eine Verknüpfung der deutschen mit der europäischen Einigung. Denn das hieße „die deutsche Einheit zum größten Teil in die Hände ausländischer Entscheidungsträger zu legen“.
Das bedeutet aber nicht, daß nicht auch die deutschen Burschenschaften die europäische Einigung prinzipiell durchaus willkommen heißen. Nur möge die deutsche Nation deretwegen nicht noch Jahre „bis zum Jahr 2000 etwa“ auf ihre Wiedervereinigung warten müssen. „Europa muß eine neue Form von Nationalstaaten erhalten“, fordert Hans Heckel, der Pressesprecher der Burschenschaften. Das heißt: keine Aufgabe der staatlichen Souveränität, aber mehr Koordination und Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Die Burschenschaften präsentieren sich auf ihrer Tagung in Berlin mit wieder gewachsenem Selbstbewußtsein. Schneidend und kämpferisch verkündet Pressesprecher Heckel, daß es mit den Burschenschaften seit den 80er Jahren wieder bergauf geht. Die 68er Revolte hatte sie tief getroffen, ihre Mitgliederzahl derart schrumpfen lassen, daß manche Verbindungen ihre bunten Fahnen, Schärpen und Käppis zum Trödelhändler bringen konnten, da sie ihren Laden schließen mußten. Doch seit einigen Jahren konstatieren die Farbentragenden wieder wachsendes Interesse an Traditionen und an der Frage der deutschen Einheit. 22.000 Mitglieder zählen sie heuer, 19.000 davon allerdings alte Herren, die der Uni längst ade gesagt haben und heute höchstens noch einmal vorbeischauen, um alte Kameradenherrlichkeiten wieder aufzufrischen oder (was wichtiger ist) ihrem jungen Nachwuchs beruflich auf die Sprünge in die oberen Etagen von Betrieben, Verwaltungen, Parteien und Verbänden zu helfen. 3.500 aktive, das heißt, studentische Mitglieder zählt nach Angaben von Hans Heckel der Dachverband der deutschen Burschenschaften heute. Etwa 200 soll es in West-Berlin geben, organisiert in verschiedenen Verbindungen, die „fakultativ schlagend“ sind.
In die DDR zieht es die Burschenschafter nicht erst seit dem 9. November. Seit einigen Jahren schon durften sie auch in ihrer bunten Verkleidung rüber. Jetzt kämpfen sie verstärkt darum, drüben Bundesbrüder zu gewinnen. In Ost -Berlin hat sich an der Humboldt-Universität bereits eine Gruppe gegründet, die zur Zeit „16 Adressen“ zählt. In Leipzig und Jena hatte der DDR-Kulturbund versucht, Burschenschaften ins Leben zu rufen. Doch das war in den Augen der Burschenschaften/West nur der Versuch, ihre alten Ideale vor den politischen Karren der Sozialisten zu spannen. Mittlerweile hätten sich daraus, so Hans Heckel, aber „richtige“ burschenschaftliche Ansätze entwickelt, in denen sich Professoren und Studenten zusammenfinden. Im nächsten Mai wird man wohl gemeinsam zum Wartburgfest ziehen.
Auch Frauen zieht es seit einigen Jahren offenbar zunehmend in die Burschenschaften. In 17 westdeutschen Städten hätten sich bereits Frauenverbindungen gegründet, gibt Hans Heckel bekannt. Da man sie schlecht als Burschen titulieren kann, werden sie „Farbenschwestern“ genannt. Analog zu den „alten Herren“ werden sie dereinst „hohe Damen“. Werden die Burschenschaften damit von emanzipatorisch-feministischem Geist heimgesucht? Antwort eines Bruders im Wichs: „Was heißt hier emanzipatorisch-feministisch? Wir sind doch für Gleichberechtigung!“
Als Chauvis möchten sie auch im anderen Sinne des Wortes nicht gelten. „Deutschland - einig Vaterland“ fordern sie nicht unbedingt in den Grenzen von 1937. Den Rechtsvorbehalt möchten zwar auch sie nicht fallen sehen, doch gegen den Willen der polnischen Regierung würden sie eine Eindeutschung der Oder-Neiße-Gebiete nicht wollen. Demokratisch lautere Patrioten wollen sie sein. „Nationalchauvinistische Positionen dürfen bei uns nicht vertreten werden“, betont Hans Heckel. Was nicht heißt, daß sie nicht den gerechten Kampf Südtirols heim ins deutsche Vaterland von Herzen unterstützen.
wist
Gegen das Treffen der Burschenschaften ruft der AStA der FU heute um 13 Uhr zu einer Kundgebung vor dem ICC auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen