: The Growing Up Red Blues
■ In den USA ist das Buch des Watergate-Journalisten Carl Bernstein über seinen von der Kommunistenhatz betroffenen Vater und die McCarthy-Jahre erschienen
Zachary Sklar
Carl Bernsteins Leben war der Traum so vieler anderer sogenannter „Red Diaper Babies“ oder Kommunistenkinder in Amerika. Mit seiner Enthüllung des Watergate-Skandals stürzte er einen Präsidenten, und nicht nur irgendeinen Präsidenten - Richard Nixon war es, der niederträchtigste Kommunistenjäger, der je im Weißen Haus saß. Daneben heimste Bernstein einen Pulitzer-Preis ein, veröffentlichte ein paar Bestseller, wurde zu einer gefeierten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die von Dustin Hoffman in einem mit einem „Oscar“ preisgekrönten Film dargestellt wurde, und wurde beinahe über Nacht zu einem wichtigen Mitspieler in dem Macht- und Statusspiel der großen Medienkonzerne. Für Bernstein muß die Watergate-Story gleichzeitig Rache und Wiedergutmachung gewesen sein, denn sie war die Erfüllung jener widersprüchlichen Motive, die sein Leben seit seiner Kindheit bestimmt hatten: die rebellische Empörung angesichts einer intriganten Regierung und die Sehnsucht des Außenseiters, in die „normale“ amerikanische Gesellschaft aufgenommen zu werden.
Anfang der siebziger Jahre wußten nur wenige davon, daß Bernstein der Sohn zweier ehemaliger Mitglieder der Kommunistischen Partei ist, deren Leben man zwei Jahrzehnte zuvor zerstört hatte, in jener düsteren Periode, die durch Nixon und Joe McCarthy repräsentiert wurde. Das Buch Loyalties: A Son's Memoir ist Bernsteins Versuch, sich die Erfahrungen seiner Familie in jener gefahrvollen Zeit von der Seele zu schreiben. Seine Eltern waren von Anfang an gegen das Projekt, und Bernstein ließ immer wieder davon ab, um seinen normalen, weniger schmerzhaften Aktivitäten im Bereich des offiziellen Journalismus nachzugehen. Aber im Verlauf von 13 Jahren kehrte er immer wieder zu seinem Vorhaben zurück. Das Resultat dieser Anstrengungen liegt nun vor: ein provozierender und wichtiger, wenn auch manchmal obskurer und zusammenhangloser Bericht.
Das Buch steht in einer Reihe mit anderen beeindruckenden Memoiren und Romanen, die sich mit dem Leben der Kinder von amerikanischen Kommunisten beschäftigen, darunter We Are Your Sons von Robert und Michael Meeropol, The Book of Daniel von E.L. Doctorow, The Romance of American Communism von Vivian Gornick, Endless Love von Scott Spencer und In My Mother's House von Kim Chernin. Da meine Eltern ebenfalls Kommunisten waren, hatte ich immer schon ein besonders inniges Verhältnis zu diesen Autoren, so als ob wir alle zu einer großen gemeinsamen Familie gehörten, und ich bin ihnen dankbar dafür, daß sie dazu beigetragen haben, die widersprüchliche, komplexe emotionale Landschaft zu erhellen, in der alle die zu Hause sind, die in den vierziger und fünfziger Jahren in Amerika in einem kommunistischen Milieu aufwuchsen.
Auch Bernstein begibt sich mit der Erkundung seiner eigenen Familiengeschichte auf dieses Terrain: Der Kampf um gegenseitige Anerkennung zwischen einem rational denkenden, irgendwie unpersönlichen Vater und einem leidenschaftlichen, aufgebrachten Sohn; die gesellschaftliche Ächtung einer ganzen Familie; die hilflose Unfähigkeit von Eltern und Kindern angesichts dieses Belagerungszustands, die widersprüchlichen, verwirrten Botschaften zu entschlüsseln, die sie sich gegenseitig schicken; die ungewöhnlich starke emotionale Komponente des politischen Aktivismus.
Schon lange vor Carls Geburt in Washington, D.C., im Jahre 1944, hatten seine aus der Mittelschicht stammenden jüdischen Eltern ihr Leben voll und ganz der Sache der Linken gewidmet. Seine Mutter arbeitete als Sekretärin für die Bundesregierung, beteiligte sich 1937 an Hilfsprogrammen für den Spanischen Bürgerkrieg und koordinierte die amerikanische Unterstützung der Loyalisten. Ihr politischer Instinkt hatte sie zu einer radikalen Kommunistin werden lassen, ohne daß sie je Marx oder Engels gelesen hätte, und sie genoß einen erstaunlichen Ruf als Aktivistin, die immer in vorderster Front kämpfte: beim Aufbau einer Gewerkschaft für Regierungsangestellte wie als Initiatorin einer Verbraucherkampagne gegen überhöhte Fleischpreise, als Leiterin des Washingtoner Komitees für die Rettung der Rosenbergs wie auch bei zahlreichen Demonstrationen gegen die Rassentrennung in den Restaurants und öffentlichen Schwimmbädern der Hauptstadt.
Carls Vater, ein idealistischer Jurist und Absolvent der Columbia Law School, kam 1937 nach Washington, um an einer vom Commerce Committee des Senats durchgeführten Untersuchung der amerikanischen Eisenbahngesellschaften teilzunehmen. Kurz darauf trat er den United Federal Workers of America - einer der im noch jungen Congress of Industrial Organizations (CIO) vertretenen Gewerkschaften - bei und wurde zum Betriebsrat gewählt; er war maßgeblich an der gewerkschaftlichen Organisierung der unterschiedlichsten Berufsgruppen beteiligt, von Gefängnisaufsehern in Alcatraz bis hin zum Aufsichtspersonal des Capitols. Als Präsident Truman im Jahre 1947 per offizieller Verfügung sogenannte Loyalitätsausschüsse zur Überprüfung von Bundesangestellten einsetzte, widmete Carls Vater all seine Kraft nur noch der Gewerkschaft. Er übernahm die Rechtsvertretung von mehr als 500 Betroffenen dieser Gesinnungschnüffelei, bis seine Gewerkschaft (inzwischen umbenannt in United Public Workers) 1950 aus dem CIO ausgeschlossen wurde und sich bald danach auflöste. Obwohl sein Vater, wie Bernstein shreibt, „sich nichts mehr wünschte, als an den Ereignissen der Zeit teilzunehmen“, fand er sich schon im Alter von 40 Jahren in der totalen Isolation wieder.
Im Jahre 1942 traten Bernsteins Eltern der Kommunistischen Partei bei, die sie allerdings schon fünf Jahre später wieder verließen, nachdem sie an weniger als 20 Parteiversammlungen teilgenommen hatten. Dennoch wurden die Bernsteins während der nächsten 35 Jahre ständig vom Federal Bureau of Investigation (FBI) schikaniert; ihr Dossier umfaßte schließlich mehr als 2.500 Seiten. (Es ist in der Tat erstaunlich, daß Nixon während der Watergate-Zeit keinen Weg fand, dieses Material gegen Carl zu benutzen.) Sie wurden während der „Hexenjagd“ dreimal von verschiedenen Kongreß-Ausschüssen verhört. Sie verloren ihre Arbeitsplätze bei Regierungsbehörden. Auch die progressive Bewegung, die ihrem Leben Sinn und Gestalt gegeben hatte, wurde selbst bald zerstört.
Carl war natürlich von diesen Vorgängen ebenfalls unmittelbar betroffen. Seine Beschreibung der Verwirrung, die er als kleiner Junge empfand, ist bewegend und faszinierend zugleich. Im Alter von sieben Jahren setzte er sich zusammen mit schwarzen Kindern Hand in Hand an die Lunch-Tresen in der altmodischen Südstaaten-Stadt Washington und unterstützte so den Kampf seiner Mutter und ihres Komitees fürdie Durchsetzung der Bestimmungen gegen die Rassentrennung, die seit 1872 systematisch mißachtet worden waren. Mit neun Jahren tütete er Briefe ein und demonstrierte vor dem Weißen Haus mit dem Washingtoner Komitee für die rechtmäßige Behandlung von Julius und Ethel Rosenberg. Als die Rosenbergs im Jahre 1953 hingerichtet wurden, schrie und weinte er die ganze Nacht hindurch vor Angst und Schrecken. „Die Rosenbergs waren mir damals so vertraut, als gehörten sie zur Familie“, schreibt er. „Für ein Kind war die Verbindung ganz klar: Wenn sie hingerichtet werden konnten, wer sollte dann verhindern, daß auch die eigenen Eltern, vor allem die eigene Mutter, hingerichtet wurden?“
Carl war gerade zehn Jahre alt, als das Foto seiner Mutter auf der Titelseite der 'Washington Post‘ erschien, kurz nachdem sie sich geweigert hatte, bei ihrem Verhör vor dem „Komitee gegen antiamerikanische Umtriebe des Repräsentantenhauses“ (House Un-American Activities Committee) irgendwelche Informationen preiszugeben. Als am nächsten Tag in der Schule ein Mitschüler Carls Mutter eine Kommunistin nannte, brach plötzlich die ganze aufgestaute Wut aus dem Jungen heraus, und er geriet dort auf dem Schulhof in die größte Rauferei seines Lebens. Am gleichen Tag verschwanden seine besten Freunde ganz einfach aus seinem Leben, weil sie sich auf Geheiß ihrer Eltern nicht mehr mit ihm treffen durften.
Carls ambivalente Haltung gegenüber diesen Ereignissen spiegelt die doppelte Botschaft, die viele dieser „Red -Diaper Babies“ von ihren Eltern immer wieder zu hören bekamen: Sei stolz auf deine Ideale, tritt für deine Überzeugung ein, aber plaudere keine Familiengeheimnisse aus, sei ein guter Schüler und sieh zu, daß dir nichts passiert. So wurde Carl zwar ein Aktivist, der seine jüdische Jugendgruppe bei vielen Bürgerrechtskampagnen anführte, zeigte aber seine Rebellion dadurch, daß er zu einem „fanatischen Patrioten“ wurde. Er unterstützte den Präsidentschaftswahlkampf Eisenhowers, sprach in der Schule den Fahneneid vor und wurde zum Luftschutzwart. Er wollte die gleiche Bar-Mizwa wie seine Freunde, mit vielen Geschenken, und als seine Eltern sich weigerten, warf er ihnen vor, sie seien atheistische Kommunisten, die nicht an die wahre Freiheit glaubten. Daraufhin lenkten sie schließlich ein, und Carl bekam seine Bar-Mizwa, an der auch das FBI teilnahm und systematisch die Nummernschilder der Autos aufschrieb.
Obwohl Bernstein einige Konflikte mit dem Gesetz beschreibt, die die Angst und Wut jener Jahre auf sehr lebendige Weise deutlich werden lassen, geht er nur andeutungsweise auf die emotionale Dynamik innerhalb seiner Familie ein. Seine Eltern sprechen nicht gerne über ihre Gefühle, und seine Schwestern werden kaum erwähnt. Ein Freund seiner Eltern erzählt ihm, daß das Zuhause ein einziges Chaos gewesen sei, und deutet damit an, daß all die noble politische Arbeit vielleicht dazu geführt habe, daß die Kinder zu sehr vernachlässigt wurden. Allerdings geht das Buch nicht näher auf dieses Thema ein, und die berechtigte Frage, ob die widersprüchlichen Gefühle, denen sich Carl ausgesetzt sah, eher auf die allgemeine politische Situation oder auf persönliche Probleme zurückzuführen waren, bleibt unbeantwortet.
Ebensowenig denkt Bernstein darüber nach, welchen Einfluß seine Kindheitserfahrungen auf sein späteres Leben als Erwachsener gehabt haben könnten. Im Hinblick auf seine Herkunft hätte ich beispielsweise gerne mehr darüber gehört, warum er 1968 auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges in die Armee eintrat, warum er dem normalen Journalismus den Rücken kehrte und wie er seine eigenen Söhne aufzieht.
Anstatt intensiver auf die autobiographischen Aspekte einzugehen, wendet sich Bernstein lieber äußeren Dingen zu und gibt einen kurzen Abriß über die Geschichte von Trumans Präsidentenerlaß Nummer 9.835. Dieser Exkurs liefert zwar durchaus wertvolle Hintergrundinformationen, verwässert jedoch letzten Endes die emotionale Überzeugungskraft des persönlichen Berichts. Der Präsidentenerlaß Nummer 9.835 vom 21.März 1947 bestimmte, daß mehr als zwei Millionen Bundesangestellte vom FBI im Hinblick auf ihre Loyalität gegenüber der Regierung überprüft werden sollten. Dabei wurden in allen Behörden spezielle Ausschüsse eingesetzt, um die Fälle näher zu untersuchen, die dem FBI als besonders verdächtig erschienen. Was als illoyal galt, wurde nie genau definiert. Die entsprechenden Anschuldigungen kamen von anonymen Informanten und betrafen nicht etwa die politischen Aktivitäten der betreffenden Regierungsangestellten, sondern ihre Verbindung zu Organisationen, die vom Justizminister als „subversiv“ eingestuft wurden. Die Beschuldigten erhielten weder Gelegenheit, ihren Beschuldigern direkt gegenüberzutreten, noch das Recht auf eine ordentlicbe Gerichtsverhandlung, bei der man von ihrer Unschuld hätte ausgehen, Zeugenbefragungen zulassen und konkrete Beweise hätte vorbringen müssen. So wurde, wie Bernstein aufzeigt, mit diesem weithin ignorierten Loyalitätserlaß bereits die Atmosphäre für die darauffolgende Ära der Hexenjagden geschaffen.
Von 1947 bis 1954 verloren mehr als 8.000 Menschen infolge dieses Präsidentenerlasses Nummer 9.835 ihren Arbeitsplatz in einer der Regierungsbehörden. Um die damit verbundenen Ungerechtigkeiten zu verdeutlichen, geht Bernstein ausführlich auf die Kündigung von Emily Geller ein, die als Verwaltungsangestellte im Nationalen Gesundheitsamt arbeitete und Gewerkschaftssekretärin der örtlichen Gruppe der United Public Workers war. Frau Geller war nie Mitglied der Kommunistischen Partei und hatte so gut wie keine Kontakte zu linken Kreisen, so daß ihr Fall in der Tat deutlich macht, daß tatsächlich jeder dieser Kampagne zum Opfer fallen konnte. Daneben - und das ist für Bernstein womöglich ebenso wichtig - zeigt diese Episode, wie sein Vater, den er für eher schwach, geistesabwesend und hilflos gehalten hatte, diese Frau furchtlos und beredt vor dem scheinlegalen Loyalitätsausschuß verteidigt. Dieses Bild eines Mannes auf der Höhe seiner Kraft, auf den noch nicht der Schatten der „Schreckensherrschaft“ gefallen war, stellt den Respekt des Sohnes vor dem Vater wieder her.
Die Beschränkung auf den eindeutig klaren Fall Geller lenkt jedoch von dem entscheidenden Aspekt der Loyalitätsverhöre ab. Es geht im Gegensatz zu Bernsteins Auffassung nicht einfach nur darum, daß die Regierung widerrechtlich Leute verfolgte, die absolut nichts mit den Kommunisten zu tun hatten. Es geht darum, daß die Regierung nicht das Recht hatte, Menschen auszuforschen, die sich keines Verbrechens oder Vergehens schuldig gemacht hatten, und zwar unabhängig von ihren jeweiligen politischen Ansichten oder Überzeugungen. In den vierziger und fünfziger Jahren hätte dieser Rechtsgrundsatz für Mitglieder der Kommunistischen Partei genauso gelten müssen wie für Emily Geller - so wie er heute auch für puertoricanische „Independistas“ oder Mitglieder von „Cispes“ oder jeder anderen Organisation Gültigkeit haben sollte, die die Regierung für subversiv halten mag.
Über weite Passagen hinweg geht aus Bernsteins Buch nicht klar genug hervor, daß er selbst für dieses Prinzip eintritt. Seine Wut auf die Kommunistische Partei und auf seine Eltern, die mit ihm nicht offen über ihre politische Einstellung gesprochen hätten, ist so groß, daß man den Eindruck erhält, er sei in gewissem Sinne überzeugt, sie hätten nur bekommen, was sie verdienten. Die Auseinandersetzung mit seinen Eltern über die Partei ist eines der Hauptthemen des Buches. Es scheint, als habe Carl die Auffassung verinnerlicht, die beispielsweise in der Zeitschrift 'Commentary‘ oder in vielen Talkshows vertreten wird, daß nämlich die Kommunistische Partei im wesentlichen aus humorlosen, dogmatischen, bürokratischen Stalinisten bestand, die ihre Anweisungen ausschließlich aus Moskau bekamen und die Regierung der Vereinigten Staaten mit Gewalt stürzen wollten.
Bernsteins Eltern sahen die Dinge völlig anders. So meinte seine Mutter: „Es war absolut nichts Subversives an (der Partei oder ihren Mitgliedern). Das ist es auch, was mich am meisten ärgert: die Unterstellung, die seien irgendwie böse und unheimlich gewesen. Dabei haben sie sehr viel Gutes geleistet.“ Und sein Vater behauptete, die Partei hätte nichts mit seiner Gewerkschaft zu tun gehabt und fügt hinzu: „Die Leute wurden verfolgt für das, was sie taten, nicht wegen ihrer Verbindungen.“ In dem Bemühen, deutlich zu machen, daß die Gewerkschaft und nicht die Partei im Mittelpunkt ihres politischen Lebens stand, beharrt er darauf, daß weder er selbst noch seine Frau von irgendjemandem Anweisungen entgegengenommen hätten.
Beide Eltern, die heute ein relativ sicheres und glückliches Leben führen, flehen Carl an, ihre frühere Mitgliedschaft in der Partei nicht zu erwähnen. „Wenn du darauf eingehst“, sorgt sich seine Mutter, „dann habe ich Angst, daß mein Leben noch einmal zerstört wird.“ Die Einwände seines Vaters sind eher intellektueller Art: „Die meisten Menschen kamen nach der McCarthy-Ära zu der Einschätzung, daß die Opfer keine Kommunisten waren“, erläutert er. „Wenn du jetzt in deinem Buch schreibst, daß McCartyh recht hatte und viele von uns tatsächlich Kommunisten waren, dann ist das eine sehr gefährliche Sache.“
Solche Überlegungen beeindrucken Carl jedoch nicht. „Er ging davon aus, daß die Wahrheit eher hinderlich ist und Schaden anrichten würde“, schreibt er. „Diese Auffassung konnte ich nicht teilen, und so konnte und wollte ich nicht arbeiten.“ Immerhin beginnt er schließlich zu verstehen, daß die Einwände seiner Eltern auf verständlichen Ängsten beruhen. In seiner Jugend hatte er die Befürchtungen der Kommunisten, sie könnten nachts abgeholt und in Konzentrationslager gebracht werden, als Ausdruck ihres Verfolgungswahns betrachtet. Als er jedoch entdeckt, daß J. Edgar Hoover tatsächlich Vorbereitungen für genau diese Art von Aktionen getroffen hatte, erkennt er, „daß die alptraumhaften Visionen meiner Kindheit durchaus begründet waren und ich vielleicht dem, was meine Eltern und ihre Freunde mir gesagt hatten, mehr Aufmerksamkeit schenken sollte“.
Während er über die Gründe nachdenkt, warum seine Eltern der entscheidenden Frage immer wieder ausweichen, fragt er sich, wie er „ehrlich sein kann, ohne Menschen zu verletzen“. Er entscheidet sich schließlich dafür, die Wahrheit zu schreiben und die Parteimitgliedschaft seiner Eltern nicht zu verheimlichen, sie aber in den Zusammenhang dessen zu stellen, „was sie tatsächlich geleistet haben“. Eine durchaus mutige Entscheidung: Allzu viele frühere Kommunisten haben sich hinter eine Mauer des Schweigens zurückgezogen, und allzu häufig haben ihre Kinder von ihnen diese Heimlichkeit und Angst übernommen, weil sie schon früh gelernt haben, daß die Wahrheit den Verlust des Arbeitsplatzes, das Ende von Freundschaften sowie Gefängnis oder sogar den Tod zur Folge haben könnte.
Auch wenn viele „Red-Diaper Babies“, mich eingeschlossen, dazu neigen, die Erfahrungen der McCarthy-Ära als einzigartig anzusehen, waren sie in vieler Hinsicht durchaus nicht so verschieden von den Erfahrungen anderer, die von der amerikanischen Gesellschaft ebenfalls stigmatisiert wurden und werden. Das Heilmittel für unsere Ängste und unsere Isolation kam ebenfalls von diesen anderen: den Schwulen und Lesben, die offen zu ihrer Veranlagung stehen, den Afro-Amerikanern, die auf ihr Schwarzsein stolz sind, den Inzestopfern, die an die Öffentlichkeit gehen, den Drogenabhängigen, die auf Versammlungen gehen, wo sie sich als erstes zu ihrer Sucht bekennen, den Behinderten, die Zugang zu öffentlichen Einrichtungen verlangen und nicht mehr länger eine verdrängte Existenz führen wollen, den Überlebenden der Internierungslager des Zweiten Weltkriegs und den jüdischen Überlebenden des Holocaust und ihren Kindern, die immer wieder an ihr Schicksal erinnern und die Welt nicht vergessen lassen.
Es ist nicht einfach, über die eigenen Eltern und gegen ihren Willen ein Buch zu scheiben oder die Namen von Kommunisten zu nennen, wenn man seit frühester Kindheit gelernt hat, daß es keinen größeren Akt der Illoyalität geben kann. Mit seinem Buch Loyalties jedoch hat Carl Bernstein einen freimütigen (wenn auch manchmal nicht gerade schmeichelhaften) Liebesbrief an seine Eltern geschrieben und der Welt offen und ehrlich gezeigt, wer sie waren, was sie taten und wofür sie standen - und vor allem, für wen und gegen wen sie gekämpft haben. Die alten Bernsteins verdienen für ihren mutigen Kampf unseren Respekt und unsere Bewunderung. Ihr Sohn verdient unseren Dank für sein Bemühen, die Wahrheit herauszufinden.
Übersetzung: Hans Harbort
Carl Bernstein, Loyalties: A Son's Memoir, Simon & Schuster,
262 Seiten, 18,95 US-Dollar
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