: Prädikat: Besonders schädlich
■ Aufführung des 1965 verbotenen Films „Denk bloß nicht, ich heule“ in der Ostberliner Akademie der Künste
Wieder so ein Vorspann: Unter schwierigsten Bedingungen entstanden, schon vorher mehrfach geändert und verstümmelt, dann das XI. Plenum des ZK 1965 und das Verbot. „Prädikat: Besonders schädlich.“ Jetzt also die erste öffentliche Aufführung von Peter Vogels Denk bloß nicht, ich heule, der dritte in der Reihe der „Kaninchen-Filme“.
Ein 60er-Jahre-Film also. Ein bißchen Denn sie wissen nicht, was sie tun, ein bißchen Twist und Pathos des Aufbruchs. „Von Beruf: Halbstarker“, stellt Peter sich vor, eine schlaksige Gestalt, schlenkernder Gang, runtergezogene Mundwinkel. Aber Peter (Peter Reusse) ist nicht James Dean, eher dessen preußische Variante. Peter hat in einem Aufsatz geschrieben: „Ich brauche die Republik nicht, und die Republik braucht mich nicht“, deshalb fliegt er von der Schule. Er stellt Anna nach (leider nicht Jutta Hoffmann, die hat nur eine Nebenrolle), der 15jährigen mit den wippenden Zöpfen und den grünen Augen, die heimlich Gedichte über die Sterne schreibt.
Wir sind in Weimar, der Stadt Goethes. Peter schenkt Anna Pralinen, „in fünf Pralinen werde ich dich küssen„; sie weiß nicht, wie das geht. Sie baden, nachts im Teich, sie traut sich nicht, sich auszuziehen: „Ich hab‘ doch noch keine Figur.“ Schöne kleine Szenen über Verliebtheit und das Verklemmte dabei, über das Prosaische der ersten Romanze, und daß mann eigentlich alle will und nicht bloß eine.
Aber Denk bloß nicht, ich heule ist kein Film über die Pubertät. Sein Thema: Alle sind Opfer. Peters gestorbener Vater war kein überzeugter Kommunist und flog aus der Partei: ein Opfer. Annas Vater, der bärbeißige LPG -Vorsitzende, saß im KZ und kann seitdem niemanden mehr schlagen. Selbst der Schulrektor, der Peter Vorträge über Ordnung und Disziplin hält, darf ein nächtliches Bekenntnis abgeben: „Ich war 25, als ich zum erstenmal das Wort Menschlichkeit hörte.“
Auch bei der anschließenden Diskussion wollen alle wieder Opfer gewesen sein. Man ist erschüttert über die Heuchelei von damals und daß die Zeit 25 Jahre stehengeblieben ist. Zwar schränkt Drehbuchautor Nestler ein, daß sie damals keineswegs besonders mutig waren und während des sogenannten Tauwetters alle Filme gegen Opas totes Kino machten. Aber eins ist Konsens auf dem Podium: Jetzt wird alles anders. Erst nach einer Weile regt sich Unmut unter den Jüngeren im Publikum: Mit der Heuchelei sei es doch keineswegs zu Ende. Ein Medizinstudent erzählt, auch heute würden in der Charite die Statistiken gefälscht.
Eine junge Frau warnt vor falschem Optimismus: „Es gab schon öfter den Frühling in sozialistischen Ländern, dann kam wieder der Winter.“ Kaum ein Wort darüber, was die am Film Beteiligten in den letzten 25 Jahren gemacht haben. Einzige Auskunft des Regisseurs Vogel: Seine Filme danach seien „intimer“.
Bei der Diskussion nach Kurt Maetzigs Das Kaninchen bin ich vor ein paar Wochen war es zwischen dem weggangenen Autor Manfred Bieler und dem dagebliebenen Regisseur wenigstens noch zum Streit gekommen. Diesmal wurde Toleranz gepredigt. In einem Ton, als seien die 25 Jahre noch lange nicht vorbei.
chp
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