: Sehen, Genießen, Töten
■ „La Lunette - Ein Porträt des Tötens“: Regisseur Jürgen Müller-Othzen und das neue Ensemble des Freiraum-Theaters: Premiere
200 Jahre nach der großen, blutigen Französischen Revolution erschienen in Bremen drei Stücke über das Töten auf der Bühne. „Macbeth“, das Hans Kresniks Tanztheater aus Heidelberg mitbrachte als „Bannstück“, das die Zuschauer einsaugt in eine muskellähmende Mechanik des Entsetzens und nach drei Stunden Teilnahme am Morden ohne Betäubung ausspeit zum wiederbelebenden Nachdenken.
Den „Macbeth“ der bremer shakespeare company, der das Töten als gesellschaftlich gemachten Männlichkeitswahn durchspielt. Und jetzt dieses Freiraumtheater-„Porträt des Tötens“, ein nichthistorisches Stück, das sein historisches Material aus der Französischen Revolution nimmt. Und aus dem blutigen Umsturz in Rumänien. Sehen muß man sie alle drei.
Das Freiraumstück bannt nicht, unterhält sehr, gruselt manchmal, entzückt oft. Zaubert Bilder, so nachhaltig und flüchtig, daß man sie festhalten, nochmal, da capo! rufen möchte. Womit wir beim Thema Porträt des Tötens sind. Das Stück lebt vom Töten und dem Spiel damit, wie man es zeigt. Beinahe alle Formen des Zeigens sind selbst töd
lich. Der Gaukler (Lüer Merthens) wirft den theatralischen Stoff den Zuschauern des Variete-Theaters „La Lunette“ von 1792 oder uns zum Fraße vor, er präsentiert durch Trick und Illusion das Unglaubliche, das Letzte, das Morden. Er zaubert in einer wirklich traumhaften Scene das Mädchen, die Somnambule, frei schwebend im Raum - brettgerade! Das Mädchen (Barbara Weste) phantasiert dabei diesen bis zu Uwe Barschel geschichtsmächtigen, wunderbaren Gruselmord der Charlotte Corday an Marat. Zu sehen nicht der Mord, sondern Traum und Trick. Perfekt und poetisch. Das schönste an diesem Stück sind die explosiven atmospärischen Gemische.
Die Porträtistin (Anna Bushard) verhilft den Menschen durch ihr Festhalten im Bild „zur Ewigkeit“, später durch Druckgrafik und Blitzlicht. Immer schneller immer mehr Ewigkeit für immer mehr Mensch. Der Dichter (Reinhold Schäfer) findet das zynisch, läßt sich aber vom Mord am König selber zu den allerzierlichsten, zartesten Wortgebilden hinreißen.
Ich sollte vielleicht mehr vom Hinreißen schreiben, als von dem intrikaten Ideengewebe, in dem
das Stück manchmal schwebt, manchmal, vor der Pause, aber auch festhängt. Hinreißend ist z.B. dieser zarte, exaltierte Dichter. Hinreißend komisch, zart, varietetrickschockschwerenot-artig ist es, wie der Gaukler dem Dichter den Kopf garantiert ab und wieder dran macht. Alles ist nur Theater und mächtig verstaubtes dazu, es staubt nur so von Haut und Haar der fünf Spielenden, von denen jeder, an einer besonderen körperlichen Individualität kenntlich ist: zart gespreizt der Dichter, präsentabel -flexibel
gespannt der Gaukler, zugleich da-und-nicht-da die Cordaysche Träumerin vom Mord des Häßlichen, sich am eigenen Rückgrat festhaltend die Porträtistin, an sein Aktenköfferchen und sein Taschentüchlein gekrampft der lebensängstliche Robespierre-Advokat. Die Körperschulung des Regisseurs Jürgen Müller-Othzens kommt unaufdringlich aber höchst wirksam.
Wir sind noch beim Hinreißenden. Am hinreißendsten des Gauklers große Mulitmedia show: Robespierre, seriell To
desurteile unterzeichnend, in den blutroten Handschuhen hält der Untadelige die Feder, die er am Rad der Geschichte heiß macht, der Gaukler entstöpselt diese wunderbar präzise Guillotinemaschine, hinten zwischen dem Samtvorhang marschieren die Opfer, die die Täter sind, der Unbestechliche, auf einmal ohne die Perücke schaurig menschlich, und dazu ein Schwung, ein Cancan, ein Takt der Guillotine, das es das Wonnegruseln nur so den Rücken rauf und runter trieb. Die butoh-mäßig kriechenden, nack
ten, hechelnde Hunde, die der Gaukler im ersten Bild regiert, diese bild-und gaff-und blutlüsterne Meute, das sind wir. Ich glaube das garnicht, daß ich das bin. Aber es war so. Man verläßt die Stätte nicht vor Grauen steif, sondern medialmordslustig, ob man es will oder nicht. Vor allem dann erst recht. Uta Stolle
P.S NIcht zu vergessen bei all dem Hinreißenden die wunderschönen Kostüme, der Hut der Corday aus Le Monde und das Bühnenbild und die Zeichungen des Programmhheftes von Til Mette.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen