Wahlkampfsendung

■ Lea Roshs Talkshow „Freitagnacht“ aus Potsdam

Die Szene ist historisch, und Lea Rosh, konsequent an der Verfestigung ihrer Person zu einer bundes- oder gar gesamtdeutschen Fernsehinstitution arbeitend, kann sich der Versuchung nicht entziehen: einmal selber Politik machen! Die klammheimliche Sehnsucht aller Vor- (Wissenschaft) und Nach-BereiterInnen (Medien) der gehaßliebten Macher-Zunft macht die Kulisse zum Bedeutungskitsch. Also, wir sind in Potsdam, Cecilienhof, an eben jenem echt runden Tisch, wo die Großen Vier 1945 die Nachkriegsgeschichte festlegten. Jetzt sitzen hier Deutsche aus Ost und West im Kreis und es bewegt sich nichts. Für New-Age-Inspirierte kein Wunder, schließlich ist die Kette unterbrochen: Henrich vom Neuen Forum und Gysi von der SED-PDS sitzen am Katzentisch, und mindestens die Plätze von Stalin und Churchill bleiben auch frei. Die Plazierung ist nicht Dispatcher-Werk, sondern hier agierte ein echtes Protokoll: Neben der festlich gewandeten Gastgeberin (Wer hat ihr bloß zu diesem Glitzer -Outfit für Mutter Oberin geraten?) der Ehrengast, Berghofer, der Macher unter den Brüdern und Schwestern mit einem Kombinatsdirektor als Stütze und einem Sozialismusforscher zur Schwächung, anschließend allerhand DDR-Opposition. Links von Lea ein leerer Stuhl - hier säße Churchill -, dann kommt Bahr, Wirtschaftskapitän Otto Wolff und der SPD-nahe Historiker Professor Jäckel, darauf wieder DDR-Opposition von (Freitag noch) SDP bis „Vereinigte Linke“. Der allgemeine Eindruck: Nur die Macher aus Politik und Wirtschaft haben was Konkretes zu bieten, der Rest ist selten rhetorisch brillant wie Henrich - zwar kritisch, aber ansonsten mit der Stange im Nebel unterwegs.

Zuviele sind da und zuviel überlagert sich hier, als daß irgendeine Frage wirklich genüßlich und gemein zu Ende verfolgt werden könnte. Dabei gibt es genug Möglichkeiten, an die Wäsche zu gehen: Warum sind die DDR -Oppositionsparteien so regierungsgeil? Was meint Brie denn nun auf Henrichs Vorwurf des „Historischen Opportunismus“? Kann Bahr außer interessanten Vorschlägen für die Konferenz-Diplomatie die soziale Frage überhaupt denken? Warum kriegen die DDR-Frauen den Mund kaum auf? Will Gysi mit seinem Hausfrauenjammern (zuviel Arbeit/ werd‘ nicht fertig/ keiner erkennt das an) die Wahl gewinnen? Haben die Sozialismus-Retter wirklich nur Worthülsen in petto? Wieso redet Otto Wolff als der Kapitalexperte, wo er doch im eigenen Unternehmen vor allem durch Mißmanagement von sich Reden macht? Kurz und gut: Das für diesen Abend Spannende an der „deutschen Frage“ wurde verpaßt. Es geht heute nicht nur um die Veränderung der politischen Landkarte, sondern eben auch um die rasanten Haltungsänderungen der lieben Mitmenschen. Ein Thema, wie gemacht für das Genre Talkshow. Schade, daß wir stattdessen eine Wahlkampfsendung mit deutlichem SPD-Bonus sahen.

Georgia Tornow