: Keineswegs rückständig-betr.: "Ich dachte, die Ehe sei Freundschaft", taz vom 3.1.90
betr.: „Ich dachte, die Ehe sei Freundschaft“, taz vom 3.1.90
(...) Kritische Beiträge zur Frauenproblematik im Mittleren Osten und im islamischen Kulturbereich sowie zur Frauenfrage und Frauenforschung überhaupt sind mir ganz sicher sehr willkommen. Reduziert sich ein solcher Beitrag jedoch auf das oberflächliche Wiederkäuen längst bekannter Fakten mit Hilfe illustrer und zusätzlich offenbar höchst subjektiv wahrgenommener Eindrücke und wird eine ethnische Kulissenschieberei betrieben, die nur dem Zweck dienen kann, der Verfasserin zu bescheinigen, daß ihr - weil dies bei einer entsprechenden Leserschaft eben zum guten Ton gehört bewußt ist, daß in der Türkei nicht nur Türkinnen oder Türken leben, dann kann ich einen solchen Beitrag nur als schädlich und diskriminierend bezeichnen.
Es liegt mir fern, die Situation von Frauen im allgemeinen zu beschönigen; ich finde es jedoch höchst ärgerlich und bedauerlich, wenn die beschriebenen negativen Aspekte indirekt mit einer bestimmten ethnischen Zugehörigkeit begründet werden.
Insbesondere dann, wenn sich von dieser ethnischen Zugehörigkeit - nämlich der kurdischen - äußerst weitreichende und äußerst negative Kosequenzen ableiten, die mir gerade derzeit weitaus bedeutsamer erscheinen als die in dem Artikel angerissenen. Ich finde es unfair, daß für den Artikel eine Gruppe herangezogen wurde, über die sogar die taz-Leserschaft ohnehin schlecht informiert ist, vom Durchschnitt der Bevölkerung ganz zu schweigen. Alles in allem werden hier meiner Ansicht nach bestehende Vorurteile gegenüber den Kurden bestärkt, ohne daß dabei für uns Frauen zumindest das Geringste herausspringt.
Birgit Ammann, Berlin
(...) Hätte die Autorin statt „kurdisch“ in ihrem Artikel das Wort „religiös“ verwendet, ich hätte wahrscheinlich kaum Einwände gegen ihre Darstellungen. Sie beschreibt das Schicksal von Frauen, wie sie überall in der Türkei unter stark religiös geprägten Familienverhältnissen leben.
Gerade unter Kurdinnen und Kurden aber scheint mir die Stellung der Frauen keineswegs so rückständig zu sein, und die mir bekannten Kurdinnen beziehen ihr Selbstbewußtsein und ihre Klugheit und Tatkraft nicht aus der „Toleranz der Männer“, sondern aus einer Erziehung durch traditionell unverschleierte und freiheitsliebende Mütter, die sich nicht den Mund verbieten lassen und mancher Europäerin vormachen können, wie man sich gegen Unterdrückung zur Wehr setzt. Darum kenne ich unter den Kurdinnen vergleichsweise wenige „Opferlämmer“ - wie sie in dem Artikel als typisch dargestellt werden - und überdurchschnittlich viele, die auf verschiedenen Wegen versuchen, ihre Lage selbst zu verbessern. Sie werden mit den kurdischen Männern nicht weniger Probleme haben als wir deutschen Frauen mit den „unseren“, aber sie haben noch dazu das „kleine Problem“ schlimmer politischer Verfolgung bis hin zu Folter und Giftgasangriffen, mal abgesehen von Armut und Unterentwicklung, Leben in Lagern und anderes mehr.
Dies vor allem bestimmt das tägliche Leben der Kurdinnen, und im Kampf um das pure Überleben gilt unter ihnen „Löwe ist Löwe, ob Frau oder Mann“. Aber auch in der kurdischen Volkskultur finden sich viele Indizien für eine vergleichsweise starke gesellschaftliche Position der Frauen - in Frauentänzen, Liedern, Ritualen, der Sprache selbst -, darüber gibt es etliche Untersuchungen, über die zu berichten der taz wirklich anstünde. Statt dessen sitzt die Autorin der türkischen Propaganda von den kurdischen Brutalos auf, empfiehlt ihren „exotischen“ Schwestern Atatürks „Reformen“, die dem kurdischen Volk die Selbstbestimmung genommen haben, und freut sich über die jungen Frauen, die ihr Zimmer europäisch 'Bravo'-tapeziert haben und überhaupt Europa bewundern und als Maßstab sehen.
Darum ist dieser Artikel ein Schlag ins Gesicht derjenigen, für die sich die Autorin einzusetzen vorgibt.
Die taz sollte den kurdischen Frauen, wie es gute journalistische Sitte ist, dieselbe Menge Zeilen zur Verfügung stellen, um selbst über die angesprochenen Themen zu schreiben. Und sollte eine von ihnen nicht schreiben können, weil man ihr „im Osten“ die Schule vorenthalten hat, so hat sie um so mehr zu erzählen.
Zum Schluß noch etwas zur fatalen Wirkung solcher Artikel hier in unserem „fortschrittlichen“ Europa: Sie bewirken bestenfalls europäisch herablassendes Mitleid statt menschlicher Solidarität. Der europäische Maßstab macht aus jedem Kurden ein mit Argwohn zu beobachtendes Wesen, das europäische Männer per se zum „kleineren Übel“ aufwertet ist nicht der Orientale ein abgrundtief eingefleischter reaktionärer Pascha, Schläger und Vielbeweibter? Und die Orientalin mit ihren vielen Kindern, wie kann die schon emanzipiert sein? Das kriegt man sowieso unausgesprochen im Verhalten vieler auch „fortschrittlicher“ Deutscher zu spüren. Und nun hat's die taz ja auch ans Licht gebracht und ihnen ganzseitig die „Beweise“ geliefert. (...)
Christine Kernich, Berlin
Du konstruierst aus vier Fallbeispielen ein ganz allgemeines Bild der kurdischen Frau. Dabei stellst du Wahrheiten auf, die haarsträubend plump und undifferenziert sind. (...) Ein solcher Journalismus hilft aber kaum, die Probleme der kurdischen Frauen und ihr Umgehen mit diesen Problemen zu verstehen. (...)
Was unter dem Strich herauskommt, ist große Überheblichkeit, die kolonialistisch anmutet. Diese Überheblichkeit ist genauso alt wie die Beschäftigung europäischer Feministinnen mit dem Los ihrer nichteuropäischen Schwestern selbst, und wie sehr haben sich Feministinnen wie die ägyptische Ärztin Nawal El Saadawi oder die amerikanische Dichterin Audre Lorde gegen eben diese Besserwisserei der weißen, europäischen Feministinnen gewehrt. Sie sahen darin nur ein Ablenken von den eigenen Problemen.
Du schließt deinen Artikel ganz in dem beschriebenen Tenor: „Vielleicht wäre es besser, es so zu machen wie ihr Frauen in Europa...“ Sie sollen es also genauso machen wie wir? Hoffentlich nicht! Dazu gibt es zuviel, was wir deutschen Feministinnen von diesen Frauen lernen können. Ich traf so viele Frauen, die ich bewunderte: eine knapp Achtzigjährige, deren Wissen und Eloquenz manchen deutschen Professor in den Schatten gestellt hätten, und doch hatte sie nie eine Uni besucht; eine Sechzigjährige, die fünf Sprachen fließend sprach, junge Frauen, die mit viel Humor und Gelassenheit Situationen meisterten, in denen wir - wer weiß - blaß ausgesehen hätten. Das aber sind auch wieder nur Einzelbeispiele, Bruchstücke. Eins aber fiel mir immer wieder auf: Diese Frauen fanden ein großes Vergnügen an der gegenseitigen Gesellschaft - während sich bei uns immer noch allzu oft das Gespräch belebt, wenn ein Mann die Szene betritt.
(...) Aus deiner Darstellung gewinnt man den Eindruck, daß die Kurden sich aus Rückständigkeit, Bockigkeit, ja Dummheit vielleicht, der kemalistischen Entwicklung entgegenstellen, dem Fortschritt, dem Guten verschließen, das der türkische Staat für sie bereithält. Dabei vergißt du doch den Unterschied zwischen „Bergtürken“ und Kurden. Letztere sind Opfer der rücksichtslosen Türkisierungspolitik Atatürks geworden, mit dessen Verrat am kurdischen Volk alle Hoffnungen auf Autonomie, wie sie im Vertrag von Sevres 1920 vorgesehen war, zunichte wurden. Es folgte eine Reihe blutiger Massaker in den zwanziger und dreißiger Jahren. Heute noch gilt für die Kurden in der Türkei: „Assimilier dich oder Gefängnis und Folter!“ Da schwenkst du den Kurden das türkische Gesetzbuch vor der Nase herum? Deine Darstellung setzt die Politik des himmelschreienden Unrechts und seiner historischen Wurzeln, Parteinahme für ein unterdrücktes Volk und das Durchbrechen der Mauer des Schweigens, die die Vernichtung der Kurden in allen Teilen Kurdistans umgibt, weil nämlich Ost wie West ganz zufrieden sind mit dem derzeitigen Zustand, der ihnen einen leichten Zugang zu Kurdistans Reichtümern gewährt.
Dein Artikel hat den KurdInnen geschadet, weil es dir offensichtlich nicht um Kenntnis, Verständnis, Solidarität ging, sondern um Hetze, die nur den Unterdrückern zugute kommt. Ich glaube kaum, daß ein ähnlicher Artikel über die Palästinenser, deren Lebensweise sicherlich „rückständiger“ ist als die der Israelis, oder die Schwarzen Südafrikaner, die Bothas Heilslehre nicht annehmen wollen, in der taz erschienen wäre, und bedauere wieder einmal die Parteilichkeit und Gedankenlosigkeit dieser Zeitung.
Susan Kaufmann, Berlin
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