: Der Film als Fotoalbum
■ „Der Fotograf“ - ein Foto-Film von Thomas Mitscherlich und Franz Winzentsen
Wer wohnt schon im Hafen? Hannes wohnt im Hafen, und das ist schon mal ein klasse Topos für: den eigentlich Unbehausten, Außerhalben, der das individuelle Beharren im großen Kommen und Gehen und Vergessen sucht, das Kucken mit vergrößerten Augen. Und richtig betrachtet Hannes die Welt durchs Fernrohr: Schwupp, da ist die Geliebte zuerst scharf, dann vergröbert. Nahe Ferne, ferne Nähe mit Schiffssirene. Symbolisch, symbolisch.
Lang, lang schwenkt die Kamera ums heimelige Hafenhaus, das Fenster strahlt ins Unwirtliche des Hafens, als wärs ein Stück vom Leuchtturm. Drinnen Hans Albers-Verschnitt Hannes und seine deutschstämmige US-Freundin Francis, Jüdin. Wir betrachten zusammen Familienfotos - starre Menschen in ernsten langen Hosen oder Röcken - da kommt Vergangenheitsbewältigung auf.
Was nach einer schlichten Geschichte klingt, ist auch eine. Und auch keine. Es geht ja um viel mehr. Unser Mann leidet nämlich an seiner und unserer kollektiven Geschichte. Nicht umsonst wird so einer Taucher. Weil: alle Vorväter waren Fotografen. Also das bloß nicht. Keine positivistische Abbildung sogenannter Wirklichkeiten. Unsere Rettung liegt lapidar gesagt - zwar meist sowieso darin, das Gegenteil unserer Väter und Mütter zu tun, aber das läßt sich auch komplizierter sagen. Zum Beispiel, indem man einen ehrgeizigen Film darüber
macht: Man nimmt dazu alte Fotos aus Fotoarchiven, darauf sehen wir besagte Männer und Frauen - erst allein, dann immer häufiger in Gruppen und Uniform - aber auch Schiffe, erst ein Schornstein, dann zwei Schornsteine, dann drei Schornsteine,
dann vier Schornsteine, erst Hindenburg, dann erster Weltkrieg, dann unordentliche Revolution, dann Hitler, dazwischenn Schiffsuntergänge, Stapelläufe (Erkenntnis: nur wegen der Untergänge werden immer wieder neue Schiffe gebraucht), dann
AG Weser-Untergang, reiht sie chronologisch aneinander, „bewegt“ die Standbilder durch projiziertes Flackern und Glimmen von Zigarrenrauch, unterlegt die sperrige Bildergeschichte mit dem gruselig pfeifenden Wind der Geschichte und sinnfälliger Musik (bei Pickelhauben: eine behäbig bräsig-breite Bläserunterlage mit spitzen Saxophontönen für den Pickel), erfinde als Rahmenhandelnde jeweils einen Erben der Täter und eine Erbin der Opfer und vereine diese beiden als fast versöhnliches Liebespaar, das in Satzaussagen spricht.
Das ergibt ergiebige Dokumentations-Stränge für die Geschichte als solche, die Geschichte der Fotografie (erst Gemälde, dann Sepia, dann schwarz-weiß mit Zacken, dann coloriert), die Schiffahrtsgeschichte, die Geschichte vor, während und nach dem NS-Terror-Regime, die Schuld der privaten und der öffentlichen Väter. Thomas Mitscherlichs und Franz Winzentsens „Der Fotograf“ will beim Symbol genommen werden. Aber der Film als Fotoausstellung und fiktive Ahnengalerie macht ein seltsames Unbehagen. Er ist zu sehr getüfteltes Laborprodukt, zu überfrachtet schwarz -weiß, zu sehr eingehämmertes Problem der Wirklichkeit im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit, als daß man sich wirklich auf die „große“ Geschichte im eigenen kleinen Fotoalbum verweisen lassen möchte. Claudia Kohlhas
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