piwik no script img

Bleiern geboren

■ 'art‘ im Januar: Anselm Kiefer spricht

Daß Anselm Kiefer kein Faschist ist, haben inzwischen die Dümmsten begriffen; daß es einen Künstler namens Kiefer gibt, ist zu den Massen noch nicht durchgedrungen: Beuys dagegen kennt man, der zeitweilig Kiefers Lehrer war. Denn Beuys war ein Fernsehkünstler, ein Held der Medien. Vielleicht war es gerade der mediale Ausverkauf des Meisters, der den Schüler bewogen hat, die Isolation zu suchen.

Jetzt hat Kiefer gesprochen, und zwar mit den beiden leitenden Redakteuren des populistischen Kunstmagazins 'art‘ (Preisausschreiben: „Welches Bild ist von Picasso?“), Axel Hecht und Alfred Nemeczek. Das Interview wurde von Kiefer gegengelesen und autorisiert.

Es ist wohl auch Zeit, daß Kiefer sich äußert. Sein Erfolg in Amerika und England ist monströs - weit mehr als eine „Rezeption“ - und wirkt nach Deutschland zurück, wo eine große Ausstellung in der Westberliner Nationalgalerie (ab 23.November) vorbereitet wird. Die Spekulationen über seine „Mythenmalerei“, seine Arbeiten mit Blei, seinen Rückzug, seine umfangreiche Produktion hatten zu bombastischen Interpretationen und faden Huldigungen geführt. Jetzt steht fest: auch Kiefer ist nur ein Mensch. Ein unbefangenerer Blick auf sein Werk wird möglich sein.

Kiefer sagt, er mache „keine Kunst über Kunst“ und scheint sich damit dem Projekt der Moderne, der Zuspitzung von Formproblemen, zu entziehen. Die Vorgabe der Interviewer, außer Beuys und Duchamp sei für seine Entwicklung auch Warhol wichtig gewesen, nimmt Kiefer an und kommentiert: „Wenn die Oberfläche so eine äußerste Oberfläche wird, dann schlägt das ja nach dialektischen Gesetzen ins Gegenteil um.“ Das klingt etwas gelernt. Wenn es dann um seine Kunst geht, wird Kiefer noch statischer: „Jede Arbeit hat mit dem Gefühl, dem Denken und dem Willen zu tun. Wenn die drei im Gleichgewicht sind, gibt es etwas Gutes.“

Seine Produktion vergleicht er mit einem chemischen Verfahren, der Osmose. „Ich bin etwa 2.000 Jahre alt“, stellt der 44jährige Künstler fest. „Und so entsprechen die im Laufe der Jahre während des Produktionsprozesses auf der Leinwand angesammelten Schichten den Sedimenten der Menschheits- und Erdgeschichte. (...) Zwei Zeiten korrespondieren miteinander: die 'kleine‘ individuelle Menschenzeit und die 'große‘ Weltenzeit. Eine osmotische Beziehung, wobei die Leinwand die Membran ist.“ Nähme man diesen Vorgang für gegeben, wäre die Macht etlicher Kiefer -Bilder tatsächlich zu begreifen. Für Kiefer scheint aber das Produkt nicht herzugeben, was „ich im Kopfe habe (...). Also bleibt eine dürre Vogelscheuche dessen, was ich vorhatte.“ Zu Kiefers Zeiten-Schichtmodell paßt es, daß er so gar nicht 68er - glaubt: „Mit den meisten Dingen werden wir geboren.“ - „Zwar bin ich noch im Krieg geboren und neben Trümmern aufgewachsen, doch das halte ich für ziemlich uninteressant.“ Ein Besenstreich gegen die individuelle Erinnerung, die den Psychoanalytiker sicher interessieren würde.

Die Redakteure, zum Interview nach Buchen im Odenwald gereist, wo Kiefer seine Kunst-Fabrik mit fast zwanzig „Helfern“ ('art‘) betreibt, bemerken: „Die Bilder stehen hier alle auf Wagen. Gehen Sie nachts durch die Werkhallen und bewegen die Bilder?“ Kiefer: „Ich möchte, daß sie sich nachts von alleine bewegen, und zum Teil ist mir das schon gelungen. Manchmal stehen sie morgens an anderen Plätzen, und es gibt neue Zusammenhänge.“ Eine bizarre Idee, daß die tonnenschweren Bilder Kiefers nachts auf einsame Fahrt gehen. Daß sie auf ihren Irrfahrten durch den Kunstmarkt so selten in deutschen Museen stranden, stört Kiefer nicht mehr. Gelassen bekennt er: „Die Welt ist in meiner Vorstellung so klein geworden, daß es nicht mehr so wichtig ist, wo ein Bild im einzelnen bleibt. Vielleicht kommen die Bilder auch wieder zurück wie das Evangeliar Heinrich des Löwen.“

Die Interviewer stellen schon zentrale Fragen, lassen aber keinen Raum für bohrende Beharrlichkeit. So lobt Kiefer Minimal und Concept Art - nichts liegt seiner Kunst ferner als „Vorarbeit (...) für das, was dann gekommen ist“: Soll das heißen, für seine Kunst? Auch hätte man gern gewußt, warum Kiefer die Tatsache, daß „95 Prozent aller amerikanischen Sammler, die Bilder von mir haben, (...) Juden“ seien, für einen wichtigen „Aspekt von Amerika“ hält, sein „Amerikabild“ präge. Überhaupt ist der Text für ein „langes Werkstattgespräch“ ('art‘) mit gut vier Textseiten enttäuschend kurz; die wichtigsten Themen: Kiefers jüngster Hang zu Monumentalskulpturen, seine Arbeit an Geschichtsthemen und Mythen; die Vorbilder und Umstände des Kunstmarkts werden kaum mehr als nur angeschnitten.

Hoffnungslos naiv wirkt die Unterstellung der Redakteure, Kiefer habe vielleicht „einen besonders guten Geschichtslehrer“ gehabt „oder auch einen besonders schlechten, der Sie genötigt hat, Eigeninitiative zu entwickeln„; ihre Bemerkung: „Bei Ihnen könnte man schon an eine Elefantenhaut denken, so vielschichtig sind Ihre Oberflächen“ ist bei den borkigen Bildern Kiefers im Zusammenhang mit seinem Warhol-Statement („äußerste Oberfläche“) dagegen nicht ohne Witz. Gern hätte man gewußt, ob der Künstler gelacht hat.

Ulf Erdmann-Ziegler

'art‘ Nr.1, Januar 1990, 14 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen