piwik no script img

Euthanasie-betr.: "Erklärung Berliner PhilosophInnen", taz vom 10.1.90

betr.: „Erklärung Berliner PhilosophInnen“, taz vom 10.1.90

Endlich mal eine sachkundige Stellungnahme in der taz zu SingersPraktischer Ethik. Die protestierenden Behindertenvereine verhalten sich doch genauso wie die Vertriebenenverbände, die einer rationalen Argumentation ebenfalls nicht zugänglich sind. Wer Veranstaltungen mit oder über Singer zum Platzen bringt (noch dazu mit Gewalt), der zeigt nur, daß er die Praktische Ethik nicht gelesen oder zumindest nicht verstanden hat. Davon abgesehen, ist es schlechter demokratischer Stil, abweichende Meinungen nicht zu Wort kommen zu lassen. Die Behinderten haben schließlich die Wahrheit nicht gepachtet.

Ich habe das Buch gelesen und bilde mir ein, Singers Argumentation verstanden zu haben. Daher kann ich guten Gewissens sagen, daß Singer nirgendwo zum Mord an wem auch immer aufruft, sondern dafür eintritt, daß möglichst alle leidensfähigen Lebewesen (nicht nur Menschen!) ihren Interessen gemäß leben können. Dies bedeutet, daß jeder von uns bereit sein muß, anderen, benachteiligten Menschen zu helfen (Singer erwähnt dies mehrfach). Es bedeutet aber auch, daß ich keine Tiere töten darf, nur um mir zum Beispiel den Wanst vollzuschlagen. (...) Und hier liegt wohl auch der Grund für die Ablehnung von Singers utilitaristischer Ethik. Würden sich die Behindertenverbände wirklich damit auseinandersetzen, dann könnte dies dazu führen, daß auch manchem CeBeeF-Aktivisten sein tägliches Schnitzel nicht mehr schmecken würde. Dies will man nicht riskieren, also wird Singer zur Unperson erklärt, gegen die jedes Mittel recht ist. Aber dann den völlig aus der Luft gegriffenen Euthanasie-Vorwurf als Keule gegen Singer zu gebrauchen, zeugt nicht von großer Redlichkeit seitens der Behindertenverbände. Vielleicht sollte man mal über den eigenen Lobby-Tellerrand hinausschauen.

Dag Benhelm, Stuttgart (ISB-Zivi und Vegetarier)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen