Übersiedler: Offenes Tor, gekürzter Etat

Polen müssen künftig Aussiedlungsverfahren in ihrer Heimat durchlaufen / Bonn uneinig über Leistungskürzungen  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Demnächst müssen auch Polen ein Aussiedlungsverfahren in ihrem Heimatland durchlaufen, bevor sie hier als Aussiedler anerkannt werden und sogenannte Eingliederungshilfen erhalten. Dies teilte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gestern in Bonn mit. Bisher reisen etwa 80 Prozent der Polen, die als Aussiedler kommen, nur mit einem Touristenvisum in die Bundesrepublik ein.

Schäuble bestritt, daß eine geplante Arbeitsgruppe der Bonner Regierungskoalition zum Thema Übersiedler sich damit befassen wird, wie spezielle Sozialleistungen an Übersiedler eingeschränkt werden könnten. Die Diskussionen darum könnten zu einer Verunsicherung der Aus- und Übersiedler führen. „Deshalb erklärt die Bundesregierung: Das Tor bleibt offen“, beschwor Schäuble.

Wie am späten Dienstag bekannt geworden war, soll sich eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Norbert Blüm aber tatsächlich mit solchen Einschränkungen befassen. Anlaß für die Einrichtung dieser Arbeitsgruppe sind die Übersiedlerzahlen: Über 230.000 Menschen aus der DDR sind bis Mitte Januar in die Bundesrepublik gekommen. Noch vor kurzem hatte die Union den stellvertretenden SPD -Vorsitzenden Lafontaine in die Nähe der „Republikaner“ gerückt, weil er für solche Kürzungen plädiert hatte.

Welche Leistungen wie stark beschnitten werden sollen darüber scheinen sich die Koalitionspartner noch kaum einig zu sein. So heißt es von der CDU/CSU, sie wolle das Eingliederungsprinzip im Fremdrentengesetz modifizieren. Nach diesem Prinzip wird die Rente von Übersiedlern so berechnet, als hätten sie schon immer in der Bundesrepublik gelebt und gearbeitet. Blüm denke an einen Stichtag für die Berechnung, heißt es in Bonn. Von der CSU ist bekannt, daß sie die Höchstsätze kappen und Ehepaaren doppelte Renten verweigern möchte.

FDP-Chef Lambsdorff hingegen hat angekündigt, ein solches „minderes Recht für DDR-Bürger in der Bundesrepublik werde es nicht geben. Über eine geplante Neuregelung im Rentenrecht sind sich die Koaltionsfraktionen allerdings einig: Ehemalige Angehörige der Stasi, Funktionäre der DDR -Regierung und der SED sollen keine Rente mehr erhalten, wenn sie als Übersiedler in die BRD kommen. Die Begründung Schäubles: Diese Leute hätten keine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt. Weiterhin will die CDU durchsetzen, daß kranke DDR-Bürger hierzulande nur noch in akuten Fällen behandelt werden. Das Notaufnahmeverfahren wird nach Auskunft des Innenministers im Hinblick auf die hohen Übersiedlerzahlen noch nicht abgeschafft.

Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat dafür plädiert, die „undifferenzierte Diskussion“ um Sozialleistungen für Aus- und Übersiedler zu beenden, um die Betroffenen nicht in Torschlußpanik zu versetzen und zu übereilten Ausreiseentscheidungen zu veranlassen.