: Niedersachsen: Yeziden raus
■ „Rückführung“ nach Bayern, Abschiebung in die Türkei / Behörden ignorieren Urteil des BVG
Der Landkreis Leer will die kurdische Familie Acar nach Bayern „rückführen“, wo ihnen die weitere Abschiebung in die Türkei sicher ist. Familie Acar gehört zur Glaubensgemeinschaft der Yeziden. In der Türkei werden sie von allen moslemischen Gruppen als „Teufelsanbeter“ blutig bekämpft, die Regierung schützt sie nicht. Frau Acar ist schwanger und liegt zur Zeit im Krankenhaus, Herr Acar ist nach ärztlichen Gutachten aus Angst vor der Abschiebung depressiv und selbstmordgefährdet.
Auf ihrer Flucht aus der Türkei 1987 hatte die fünfköpfige Familie eine Nacht in Istambul verbracht. Die bayerischen Behörden zimmerten aus dieser Tatsache eine „Fluchtalternative innerhalb der Türkei“ und lehnten den Asylantrag ab. Gleichzeitig erging eine Abschiebeverfügung: Innerhalb von 14 Tagen sollten die Yezidi die Bundesrepublik
verlassen.
Die Acars flohen nach Moormerland-Veenhusen in Niedersachsen. Im Zuge der Amtshilfe klopften die Bayern beim zuständigen Oberkreisdirektor in Leer an: Die Ausländerbehörde sollte die Familie nach Bayern „rückführen“. Zweimal tauchten die Landkreisbehörden bei den Acars auf, zweimal konnte durch die Intervention des Anwalts und des Arbeitskreises Asyl der Gemeinde Moormerland -Veenhusen ein Aufschub der „Rückführung“ erwirkt werden. Jetzt droht den Yeziden die endgültige Abschiebung durch die Hintertür Bayern.
Rechtsanwalt Torsten Rückoldt hatte eine Petition im niedersächsischen Landtag eingereicht, gleichzeitig Duldungsanträge beim Landkreis gestellt. Der Innenausschuß des Landtages lehnte vorerst ab. Damit hat
sie im Parlament keine Chance mehr. Für das Innenministerium ist der Fall klar: „Wenn wir erst einmal damit anfangen, uns von solchen Selbstmorddrohungen beeinflußen zu lassen, dann reißen hier ruck zuck die Dämme“, erläuterte die Sachbearbeiterin für Asylrecht, Frau Haunschild, die Entscheidung des Ausschußes. Im übrigen sei eine Schwangerschaft kein Hinderungsgrund für eine „Reise“, und in Bayern hätte man sicher gute Gründe gehabt, den Asylantrag der Acars abzulehnen. Schließlich „ist der Aufenthalt der Familie illegal.“
Ähnlich formal argumentiert auch der Landkreis. Pressesprecher Dieter Backer: „Wir haben hier überhaupt keine Möglichkeit, über den Verbleib der Familie zu entscheiden.“ Backer verweist auf die Amtshilfe für die bayrische Gemeinde Neubusch und auf die Anordnungen aus Hannover. Doch so handlungsunfähig, wie der Landkreis sich
zeigt, ist er nicht. Die Duldungsanträge, die der Rechtsanwalt gstellt hat, fallen in die Kompetenz der Leerer Behörde. Auch wenn die Petition in Hannover abgelehnt wird, bleiben die Acars in Moormerland, wenn die Landkreis das will.
Doch der will nicht. Rechtsanwalt Rückoldt: „Vor dem Hintergrund der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Haltung des Landkreises und des Innenministers ein Skandal.“ Rückoldt bezieht sich auf ein Karlsruher Urteil vom November letzten Jahres, nach dem die Bundesrichter eine richtungsweisende Entscheidung über die Anerkennung der Yeziden gefällt hatten. Sie stellten darin die „inländischen Fluchtmöglichkeiten“ für Yeziden in Frage (vgl. taz vom 5. Jan.). Die Gerichte sollten bei der Entscheidung ihrer Asylanträge die Repressalien der Yeziden in ihrer Heimat berücksichtigen. Offensichtlich bricht bayerisches Recht und die niedersächsische Abschiebepraxis das Verfassungsrecht. Pastor Wortel, Ausländerreferent des diakonischen Werkes der evangelisch-reformierten Kirche: Die Yeziden erwartet in der Türkei Folter und Mord. Wer da technizistisch handelt und die humanen Argumente vergißt, der kalkuliert mit dem Tod dieser Menschen.
Markus Daschne
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