: „Es gibt kein Leben ohne Kali“
■ Eine Reportage aus den DDR-Kali-Betrieben an der Werra / Versalzung des Flusses wird zum Top-Thema zwischen Ost und West
„Es gibt kein Leben ohne Kali“, sagte in dieser Woche völlig unbefangen der wohlbeleibte DDR-Top-Manager Hermann Bachmann zu Bremer JournalistInnen. Bachmann unterstehen zur Zeit alle volkseigenen DDR Kaliwerke, also auch jene Förderanlagen und Chemiefabriken in Thüringen, die mit ihren Abwasserlaugen den Tieren und Pflanzen in Werra und Weser die Lust am Leben gründlich versalzen.
Kali-Kombinatschef Hermann Bachmann ist ein nachrevolutionärer DDR-Wendemanager. Sein Vorgänger erkrankte am 8. Dezember während der politischen Veränderungen in der Republik, und prompt verschwand das Honnecker-Portrait im Besuchszimmer des Kali-Werkes „Glückauf“ im Wandschrank. Als die Bremer ReporterInnen darin ihre Jacken und Mäntel aufhängen wollten, kam der einst mächtigste Mann der DDR unverhofft wieder zum Vorschein. Ganz auf den Müll mochten die Neuen den alten Honni denn doch nicht werfen. Wer weiß?
Ganz bestimmt aber weiß der blonde Mittfünfziger Hermann Bachmann, mit welchen Schlagworten künftig in Ost und West vor Fernsehkameras Umweltpolitik von oben zu machen sein wird: „Gemeinsame Sicherheits-und Ökologiestrategie an der Werra“, so heißt der Titel des Verhandlungskonzeptes, das Bachmann im Auftrag des DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow in diesen Tagen textet. Bis zum 31. Januar will der DDR-Kali -Konzernchef alle seine Werra-Entsalzungs-Ideen für die in Ostberlin regierenden SED-PDS Genossen zu Papier gebracht haben. Dann beschließt der Ministerrat über die Vorschläge des Industriellen. Und auch nach seiner Ideenspende wird der Kali-Boss am Drücker bleiben. Als einer von vieren auf DDR-Seite wird er mit einer ebenso starken Bonner Riege darüber verhandeln, wie Profitinteressen und Umweltziele an der Werra einvernehmlich west-östlich zu befriedigen sind.
Viele der Kali-Förderanlagen und Chemiefabriken der DDR gehören ins Museum der Arbeit: Umweltschutz, Arbeitsschutz und Produktivität sind miserabel. Als die Bremer JournalistInnen eines der wichtigsten Kaliwerke der DDR, das Kaliwerk Werra, besichtigten, empfing sie der Betriebsleiter Horst Hoßfeld mit den Worten: „Wir schämen uns, Ihnen zu zeigen, in welchem Zustand unsere Anlagen sind.“
Kombinatschef Bachmann verantwortet nicht nur die Produktion von Düngemitteln, Feuerlöschsalzen, Ausgangs- und Zusatzstoffen für die Zement-, Farb-und Arzneimittelindustrie der DDR, Bachmann beaufsichtigt in den Maschinenfabriken seines Kali-Kombinats auch die Fabrikation von Fernsehantennen, Automobilkühlern und Vorzelten für Camping-Wohnwagen. „Ein Gemischtwarenladen“, sagt der Industrielle unzufrieden und prophezeit, das gesamte Sortiment neu zu ordnen und gezielt westliche Technologie, insbesondere für seine Über-Tage-Werke einzukaufen.
„Es muß sich rechnen“, sagt Bachmann und dabei rechnet er auch damit, daß etliche seiner
32.000 Kombinatsbeschäftigten ihre Arbeit verlieren werden. Eines von drei Kaliwerken an der Werra wird demnächst stillgelegt. Und dennoch will der wirtschaftliche Erneuerer auch bewahren und fragt sich umständlich: „Was können wir uns noch leisten bei der Sicherung von hier Entstandenem?“
Ganz und gar nicht leisten will sich Bachmann zur Verblüffung der West-Reporter ein teures elektrostatisches Trennverfahren, kurz ESTA, zur Säuberung der Abwässer seiner Kaliwerke. Bislang war in der Bundesrepublik der Eindruck entstanden, die DDR unterlasse geradezu gezielt den Einsatz anderer billigerer
Wasserbehandlungsverfahren, um an das westliche ESTA-Patent heranzukommen. Doch Bachmann dementiert mit wegwerfender Handbewegung: „Bei uns gibt es eine neue Philosophie. An der Werra werden Versuche mit der Versatztechnik gemacht.“ Erst später erfahren die Bremer JournalistInnen, daß die neue Technik ein altes Bergbauverfahren ist. Die herausgebrochenen Salze werden über Tage bearbeitet, dann wieder hinunter in den Berg gebracht und dort „versetzt“, das heißt an anderer Stelle wieder aufgeschichtet. Die Maulwurfsgänge im Werra-Gebirge würden dadurch geschlossen, die Sicherheit in den Grubenfeldern erhöht,
Abfallsalze kämen zurück in den Berg. Am teuren westlichen ESTA-Verfahren bemäkelt Bachmann den „Deponierückstand“. Der westliche Konkurrent KALI UND SALZ habe bei ihm sogar schon um einen Lagerplatz für BRD-Abraum nachgefragt, erfahren wir.
Zur Zeit sind die Beziehungen zwischen Ost und West-Kali -Magnaten allerdings getrübt. Beide Seiten schieben sich die Verantwortung für einen Gebirgsschlag im vergangenen Jahr in die Schuhe. Ein Unfall, bei dem es zwar keine Toten, nur Leichtverletzte gab, doch dafür umso größeren wirtschaftlichen Schaden für die DDR-Kaliindustrie. Er
tragreiche Kalifelder stürzten ein, die Ausbeute sank um ein Drittel.
Bachmann sagt, er habe ein Gutachten im Schrank, das die Schandtaten der kapitalistischen Kali-Konkurrenz an der Werra exakt nachweise. Und damit ist er nicht mehr nur beim Thema Bergsicherheit, sondern gleich auch beim Thema Versalzung der Werra. Die Firma KALI UND SALZ im Westen, so Bachmann, presse ihre Salzbrühe zurück ins Erdreich. Dadurch gerieten die Berge ins Rutschen. Mehr noch: DDR-Messungen ergaben, daß 60 Prozent der Salzbrühe, die vom kapitalistischen Kaliwerk unter die Erde gepreßt werden, auf Umwegen durch die Ufer der Werra in den Fluß sickern und dessen Salzfracht erhöhen. Deshalb will die DDR bei den bevorstehenden internationalen Verhandlungen mit der BRD die Fragen Bergsicherheit und Werraversalzung miteinander verbinden.
Bachmann will in Zukunft exakt geregelt wissen, wer, wann und wo in Ost oder West wieviel Salz einleiten darf, er will Spitzenlasten vermeiden und Rückhaltebecken für Niedrigwasserperioden anbieten. Er will, daß sich DDR und BRD über alle Werra-Salz-Fragen künftig ebenso einvernehmlich verständigen wie in der Vergangenheit um die Profite. Denn in dieser Angelegenheit herrschte über alle unterirdischen Grenzüberschreitungen hinweg unter den Kalileute schnell Einigkeit. Trotz des Todesstreifens an der Oberfläche. Es gibt kein Leben ohne Kali.
David Weidlich
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