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Chancen für Therapie gering

■ Kritiker bezweifeln, daß das Konzept „Therapie im Knast“ bei den Gefangenen wirklich etwas bewirkt: „Therapie muß freiwillig sein; als Zwang im Knast funktioniert sie nicht“

Fünf Tage vor der offiziellen Feier über die Sozialtherapeutische Anstalt (SoThA) im Tegeler Knast, in dem vor zwanzig Jahren der erste Modellversuch in der Bundesrepublik gestartet wurde - hatte die AL-Fraktion am vergangenen Montag Experten zu einer kritischen Bestandsaufnahme geladen. Nothing works! Nichts funktioniert! So bündig hatte die internationale Wissenschaft über Psychotherapie im Knast in den siebziger Jahren geurteilt.

In Deutschland sah man das anders. Schließlich war „Therapie statt Strafe“ das neue Paradigma im Strafvollzug. Rüdiger Ortmann von der Forschungsgruppe Kriminologie des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht modifizierte diese Einschätzung. Die Chancen für eine Verhaltensänderung durch Therapie im Strafvollzug seien „zwar nicht Null, aber gering“, faßte er sein Hauptergebnis zusammen. Der Grund: Ein Leben im Knast einzurichten, das dem „draußen“ weitgehend gleicht, sei „hoffnungslos gescheitert“.

Renate Künast, justizpolitische Sprecherin der AL wundert das nicht. Therapie - so ihre Erfahrung - muß freiwillig sein, als Zwang im Knast funktioniert sie nicht. Es könne dort nie eine freiwillige Therapie geben, solange die Therapeuten z.B. die Schlüsselgewalt hätten und über Haftverkürzungen mitentscheiden würden. Für sie war dies eine Bestätigung der AL-Forderung nach offenem Vollzug. Heute diene Therapie als neue, individualisierende Legitimation von Knast.

Genau das Gegenteil war ursprünglich beabsichtigt, erklärte Dr. Kremer, der die SoThA 1979 initiierte und ihr als ärztlicher Leiter bis 1985 vorstand. Die Sozialtherapie war Teil einer weitgehenden großen Strafrechtsreform unter dem damaligen Justizminister Heinemann, die jedoch nur Stückwerk blieb. Psychiater sollten von den insgesamt 120.000 Strafgefangenen in der Bundesrepublik und West-Berlin sechs bis acht Prozent zur Therapie aussuchen. Doch das Team um Kremer wollte die Falle der Psychiatrisierung statt Kriminalisierung vermeiden. Es plante mit der SoThA den Einstieg in den Ausstieg aus der Kriminalisierung und mußte immer wieder gegen bornierte Widerstände kämpfen: Abschaffung der Pistolen im Nachtdienst, Öffnung der Zellentüren, eine Stunde Hofgang im Kreis. Kremer erinnerte daran, daß mit dem Bau der „Plötze“ unter der Ägide der SPD Mitte der siebziger Jahre ein anachronistischer Rückfall in den Verwahrvollzug stattgefunden hat. Er schlug vor, Tegel, wie es das Strafvollzugsgesetz vorsieht, zum offenen Vollzug umzustrukturieren und die Plötze für Gefangene zu reservieren, die als „gefährdend“ oder „gefährlich“ einzustufen man sich geeinigt hat.

ujo

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