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„Aussteigen aus der Chlorchemie!“

Fritz Vahrenholt, Mitautor des Bestsellers „Seveso ist überall“, zu den Konsequenzen aus dem Dioxin-Hearing

taz: Ist Seveso nun tatsächlich überall?

Vahrenholt:Was die Verbreitung des Dioxins betrifft, muß man diese Frage bejahen.

Und welche Konsequenzen ziehen Sie als Umweltpolitiker daraus?

Alle Müllverbrennungsanlagen müssen ihren Dioxinausstoß um den Faktor 100 oder mehr verrringern. Das ist heute schon technisch möglich. Bei den Kraftfahrzeugen könnte jetzt sofort der Dioxinausstoß auf Null gesenkt werden. Denn die Zusatzstoffe zum Benzin, aus denen das Dioxin entsteht, sind auch nach Ansicht der Automobilindustrie absolut verzichtbar. Als drittes müßte die Chlorbleichung von Papier und anderen Zellstoffprodukten sofort aufgegeben werden. Nehmen Sie nur Kaffeefilter, fünf Picogramm Dioxin nimmt man beim Kaffeetrinken auf. Mit diesen Maßnahmen würden schon 50 Prozent Dioxin weniger in die Umwelt gelangen.

Mit fünf Nanogramm (Milliarstel) pro Kilogramm ist bei uns der Boden durchschnittlich belastet. Ist es da nicht reiner Pragmatismus, wenn jetzt der Wert angehoben werden soll, von dem anempfohlen wird, bestimmte Gemüsearten nicht mehr anzubauen.?

Nein, es hat sich herausgestellt, daß bei Pflanzen die Dioxinaufnahme aus der Luft das Entscheidende ist. Damit hätte die Bodenbelastung für uns in Zukunft eher eine Signalfunktion. Das heißt, wenn wir erhöhte Bodenwerte finden, müssen wir nach der Quelle suchen und sie verstopfen. Wenn es keine Quelle gibt, heißt das, die Belastung ist alt, und wenn sie dann nicht zu hoch ist sagen wir einmal 20 Nanogramm - dann ist das für einen Anbau letztlich uninteressant.

Hat es überhaupt Sinn Grenzwerte rauf oder runterzusetzen, solange es keinen Einstieg in den Ausstieg aus der Chlorchemie gibt?

Durch die verstärkten Hinweise auf die krebserregenden Eigenschaften von Dioxin, sollte man von vornherein nicht von Grenzwerten sprechen. Aber wir brauchen Richtwerte, die so weit wie möglich zu unterschreiten sind. Wenn bei Analysen herauskommt, daß in Magazinen wie dem 'Stern‘ 30 Nanogramm Dioxin enthalten sind, dann muß ich den Leuten sagen können, ob das gefährlich ist. In einer Illustrierten ist dieser Wert ungefährlich, aber bei der Nahrungsaufnahme oder beim Einatmen eben nicht. In mehreren Etappen müßte dann aber der Ausstieg aus der Chlorchemie folgen - ich denke da an einen Zeitraum von zehn Jahren. Das muß bei den Pestiziden anfangen und bei fast allen Stoffen enden, die die Chlorkohlenstoffverbindung tragen.

Interview: Kai Fabig

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