: Hemelingen: Wohnzimmer mit Autobahnanschluß
■ Bürgerinitiative Stackkamp protestierte gegen geplante Betonpiste und Mauerbau quer durch ihren Stadtteil/ Senat und Grüne fehlten unentschuldigt
Ein Häuschen bauen, ein Kind reinzeugen, einen Baum im eigenen Garten pflanzen. Da, wo Bremen von Hemelingen in Arbergen übergeht, geht das noch. Heike und Uwe S. leben seit drei Jahren zweigeschossig hinterm eigenen Gartenzaun, hinter Rotklinkern und Butzenscheiben direkt an der Hemelinger Heerstraße. Neben dem Gartentor steht heute noch ein Verkehrsschild „Tempo 30“. Der Familiennachwuchs ist noch nicht da, zeichnet sich aber schon deutlich ab unter Heike S.‘ Anorak. Wenn er erst mal auf die Hemelinger Welt und in das Alter gekommen ist, wo auch Bremer Kinder um die Wette weitspucken, kann er vom Kinderzimmer direkt den Autobahnzubringer treffen. Ein paar Meter vorm Fenster plant die Bremer Baubehörde eine neue Auto-Trasse. Quer durch Hemelingen von der Sebaldsbrücker Heerstraße zur Autobahn A1. Familie S. plant: Entweder die Trasse verhindern oder wegziehen.
Nicht viel anders als den S. geht es den 400 HemelingerInnen, die sich am letzten naßkalten Samstagmorgen mit festem Schuhwerk - noch gibts auch morastige Wiesen in Hemelingen - und winddichter Kleidung an der
Bezirkssportanlage verabredet hatten. Sie wollen die neue Trasse quer durch ihren Stadtteil nicht. Kinder hatten Luftballons, Mütter Gitarren und Väter Transparente gegen die Beton-Pläne mitgebracht. Auf denen stand z.B. „Bäume statt Straßen“ und „Lärm und Gestank macht uns alle krank“. Im Hemelinger Kindergarten hatten die Betreuerinnen sogar die Vogelhochzeits-Noten stadtteilbezogen neu vertextet: „Die Trasse tut den Ohren weh, drum darf sie hier auch nicht entstehn. Fidiralla...“
Mit „Termingründen“ wenig überzeugend entschuldigt, fehlten lediglich die seit Wochen persönlich zum Lokaltermin geladenen SenatorInnen Lemke-Schulte, Scherf, Kunick und Franke. Nicht mal ihrer Stellvertreter hatten Bremens Regierende die Hemelinger für würdig befunden. Mit Enttäuschung mußten die DemonstrantInnen schließlich feststellen, daß selbst die grüne Verkehrsexpertin Irmgard Jahnke sich den Weg nach Hemelingen gespart hatte.
Was für Bremens Stadtplaner anscheinend nicht mehr als eine „kostengünstigste“ Variante ist, um das Bremer Daimler-Benz -Werk versprochenermaßen an die
Autobahn anzubinden - die ursprüngliche Lösung, unter ganz Hemelingen ein Tunnelloch zu buddeln und den Verkehr unter Wiesen und Wohnhäusern auf die Autobahn zu lotsen, ist dem Rotstift zum Opfer gefallen -, bedeutet für die Hemelinger ganz einfach die Zerstörung ihres Stadtteils. Mitten durch die gewachsenen Stadtteilstrukturen wollen die Straßenbauer jetzt die Planierraupen schicken. Von der Bezirkssportanlage quer durch das 800 Jahre alte Landgut „Stackkamp“, an dessen Zufahrt heute noch ein Schild für „täglich frische Eier“ wirbt. Von dort aus weiter mitten durch ein kleines Feldrain -Eichenwäldchen, dann unter den Fenstern der schmuddelgelb -gemeinnützigen Wohnblocks „Hinter den Ellern“ und ihren 2.500 Bewohnern entlang und von da im Luftlinien-Abstand von 10 bis 20 Metern stracks zwischen Grundschule und Kindergarten durch und vor dem Jugendfreizeitheim längs. Der Weg vom Kindergarten zur Schule - heute noch ein Stück Spielwiese - soll dann über eine Fußgängerbrücke mit Blick auf Autobahnzubringer führen.
Damit dabei alles mit rechten sozialverträglichen und lärmschutzgrenzwertberücksichti
genden Dingen zugeht, will die Behörde zwischen Häuser und Motorgeräusche breite Lärmschutzwälle und hohe Schall
schutzzäune setzen. Eine Demonstrantin mit Galgenhumor: „Woanders in Deutschland bauen sie gerade eine Mauer ab. In Bremen
Hemelingen wird sie wieder aufgebaut.“
K.S.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen