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Altglienicke kämpft gegen die Startbahn

■ Gestern regte sich erstmals auch im Süden Berlins der Widerstand gegen Flughafenerweiterung, Flugzeuglärm und das Luftkreuz Berlin: Wenn eine Iljuschin startet, fallen die Bilder von den Wänden / Noch äußert sich der Volkszorn sehr moderat

Bürgerinitiativen in der DDR haben weder Tradition noch Erfahrung beim Einmischen in die große Politik, zumal, wenn es um überregionale Dimensionen geht, wie den geplanten Ausbau des Flughafens Schönefeld. Erstaunlich ist es deshalb, und ein ernstzunehmendes Indiz für wachsenden Unmut, wenn sich an einem Wintersonntag wie gestern in der kleinen, an Rudow grenzenden Gemeinde Altglienicke über 1.000 Demonstranten zusammenfanden, um gegen die sich anbahnende Verkehrs- und Ökokatastrophe zu protestieren. Hand in Hand tüfteln nämlich derzeit Magistrat und Senat an der großflächigen Erweiterung des südlichen Flughafens der Stadt, ganz im Zeichen des von Präsident Reagan geforderten Luftkreuzes Berlin.

Im nun ausgebrochen DDR-Wahlkampf war dies Gelegenheit für neue und alte Parteien, Spruchbänder vorzuführen: „Schönefeld, das Schmutz- und Lärmkreuz der Welt“ war als Tenor zu hören und zu sehen, „Nachtflugverbot“ und: „Wir wollen keine neue Startbahn“, „schützt den Altglienicker Stadtkern vor dem Flughafenverkehr“ - Forderungen, die vor allem erstmals die Angst ausdrücken, daß die Gesundheit der Bürger und die Umwelt im Gerangel um die zu erwartende Neuprofilierung des Luftverkehrskonzeptes auf der Strecke bleiben. Dabei soll, wie zu erfahren war, Schönefeld nur Ausweichobjekt sein für das Gigantprojekt, den Bau eines Gesamtberliner Airports, Ost-West-Drehscheibe für viele Millionen Menschen, und eben auch dort im Südberliner Raum angesiedelt. Aus lokaler Sicht der Bohnsdorfer und Altglienicker kann es dafür keinerlei Verständnis geben, besonders weil ihnen schon jetzt bei jedem Iljuschin-Start die Bilder von den Wänden fallen. Wie vom Lärm zerstört, von Sprit und Staub beregnet, wird dann das märkische, mittlerweile fast verfallene Altglienicke seinen Einwohnern traute Heimstatt sein. Da bleibt eigentlich nur, auszuwandern oder aber sich zu wehren. Steht die Frage, ob der erwachenden Basisdemokratie jetzt eine Startbahnauseinandersetzung bevorsteht, analog dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen. Ganz so weit scheinen die Fronten allerdings noch nicht verhärtet, denn disziplinbewußt will der DDR-Deutsche erst einmal die für den 31. Januar anberaumte Diskussion zwischen Bürgerkomitee, Interflug-Chef Henkes und Walter Momper abwarten, wo der gegenseitige und als kontrovers einzuschätzende Interessenkatalog vorgeführt werden soll.

Als Ironie des Schicksals übrigens mutet es an, daß bei allem Engagement, mit der die Bürgerinitiative auf ihrer Kundgebung Protest gegen Flughafenerweiterung und Neubausilos am Rande der Rollbahn erhob, nur ein einziger Vertreter auf den Tribünenanhänger stieg und einen, wenn auch ungeprüften, Vorschlag unterbreitete, wie die ganze Chose vielleicht vermieden werden könnte: Beispielsweiese mit neuen Airbusmaschinen. Und dieser Mann kam von der SED -PDS. Aber was seine Genossen in Magistrat und anderswo über Jahre verzapften, hat den Bürgern die Ohren verstopft. Er wurde schlichtweg niedergeschrien. Fürs erste zufrieden, Luft abgelassen und Flagge gezeigt zu haben, gingen die Altglienicker schließlich unter Polizeischutz auseinander in dem Bewußtsein: „Auch wir sind das Volk“.

Jörg Binas

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