: Von unschätzbarer Wichtigkeit-betr.: "Müdigkeit und Erschöpfung" (Thesen von Antje Vollmer zur Lage der Grünen zehn Jahre nach ihrer Gründung), taz vom 13.1.90
betr.: „Müdigkeit und Erschöpfung“ (Thesen von Antje Vollmer zur Lage der Grünen zehn Jahre nach ihrer Gründung), taz vom 13.1.90
Der Zenit der grün-alternativen Bewegung ist sei einiger Zeit überschritten, nicht erst seit gestern. Daß nach zehn Jahren grüner Politik eine gründliche und selbstkritische Bestandsaufnahme derselben dringend vonnöten ist, liegt bei Betrachtung der innergrünen Situation, jedoch auch der Lähmung, ja teilweisen Abstinenz grüner Politik auf der Hand.
(...) Zweifellos ist das „auf der Stelle treten“ der Grünen auch durch die verkrustete Struktur bundesdeutscher Politik und Parteien bedingt. Auch die Strategie, links -alternative Politikansätze in die Ecke der Schmuddelkinder zu verdammen, ist nicht neu. Doch anstatt zu beklagen, daß die SPD nicht willens oder nicht fähig ist, mit den Grünen wirklich fortschrittliche und ökologische Politik zu realisieren, sollten die selbstkritischen und konstruktiven Fragen mehr im Mittelpunkt stehen.
Warum ist es zum Beispiel möglich, daß einer der intelligentesten Köpfe der Grünen, Otto Schily, sich den Sozialdemokraten zuwendet? Nur machtpolitische Gründe dahinter zu vermuten, greift zu kurz. Wo liegen die Ursachen für den offensichtlichen Bruch zwischen kommunaler und bundesweiter grüner Politik? Denn in den Provinzparlamenten, so scheint mir, haben sich die Grünen auch bei den Altparteien zum Teil überraschenden Respekt erkämpft. Dagegen nährt sich das Meinungsbild der Grünen im Bundestag seit Anbeginn von aufsehenerregenden Aktionen. Hieß dies in den ersten grünen Legislaturperioden zum Beispiel noch das Entrollen eines Transparents, oder auch (zwar nicht im Bundestag) das symbolische Bewerfen eines US-Generals mit Blut, so beschränkt sich die Spektakularität inzwischen auf das gegenseitige Verächtlichmachen und Ausgrenzen zwischen den FlügelexponentInnen.
Eine Bestandsaufnahme muß einschließen, auch innergrüne Dogmen wie die Rotation oder die Basisdemokratie (hat sie nicht nur bei einer aktiven grünen Basis Sinn?) neu zu überdenken. Das muß und soll nicht bedeuten, diese richtigen Ansätze fallenzulassen, sondern aus den jahrelangen Erfahrungen auch Konsequenzen zu ziehen.
Fraglos: Die Grünen sind von unschätzbarer Wichtigkeit, gerade angesichts des wieder aufkeimenden Nationalismus. Die Altparteien sind ja nicht durch Übernahme von Teilen der grünen Themen über Nacht zur Avantgarde der Umwelt-, Friedens- oder Frauenpolitik geworden. Stellt zum Beispiel den Unterschied zwischen einer Politik des Reaktorsicherheitsministers Töpfer und einer wirklichen Umweltpolitik deutlich für die Öffentlichkeit heraus.
Harald Schmid, Duisburg
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