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Ceausistisches Denken im Turnlabor von Deva

Revolutionärer Nachholbedarf im rumänischen Turninternat von Deva / Die alten Regeln gelten noch  ■  PRESS-SCHLAG

Auch vier Wochen nach der Revolution in Rumänien scheint die „Epoche Ceausescu“ mancherorts noch weiterzuleben. Zum Beispiel im Turninternat von Deva, wo die Nationalfrauschaft und rund zweihundert weitere Turnerinnen untergebracht sind.

Zwar haben deren Trainer Adrian Goreac und Belu Octavian (sie führten die rumänische Frauenriege bei den Turn -Weltmeisterschaften in Stuttgart im vergangenen Oktober zum Vizetitel) inzwischen gelernt, das Wort „Freiheit“ auszusprechen und immer wieder zu betonen: „Wir sind frei“, doch hinter diesen Worten lebt das alte System weiter: die Turnerinnen wirken genauso ängstlich und eingeschüchtert wie früher. Selbst die mehrfache Europa- und Weltmeisterin Daniela Silivas (18 Jahre) muß ihre Trainer nach wie vor fürchten wie kleine Kinder den Teufel. Von Eltern der Turnerinnen ist zu erfahren, daß die Trainer strikte Anweisungen erteilt haben, die alten, inzwischen aufgehobenen Ceausescu-Gesetze weiter zu befolgen, zum Beispiel das Kommunikationsverbot mit Ausländern.

Sportminister Mircea Angelescu aus Bukarest, seit der Befreiung Rumäniens im Amt, reagierte sofort. Er sicherte zu, daß umgehend eine Kontrollkommission nach Deva entsandt werde. „Leider ist bei uns so etwas noch möglich“, bat der ehemalige Leichtathlet Angelescu um Verständnis. Jahrelang hätten bei den Turnerinnen Zustände geherrscht, die eher an eine „Laborgestaltung“ erinnern würden, sagte Angelescu, der mit dem neuen rumänischen Staatspräsidenten Iliescu schon vor 20 Jahren zusammengearbeitet hat. „Die Kinder wurden auf unmenschliche Weise eingeschränkt, alles nur für den Hochleistungssport.“

In Deva, wo es während der Revolte keine Kämpfe mit der Securitate gegeben hat, sondern nur einige Schaufensterscheiben zu Bruch gegangen waren, würde es wohl noch etwas dauern, bis die Menschen die neue Entwicklung auch in die Tat umsetzen könnten. „Aber“, so Angelescu, „die Revolution hat nicht nur in Bukarest und Temeswar stattgefunden.“ In Zukunft könne „ceausistisches Verhalten“ nicht mehr toleriert werden. Es sei „durchaus möglich, daß die Trainer Goreac und Octavian ihren Arbeitsplatz verlieren“.

Inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern Rumäniens, daß Adrian Goreac engste Beziehungen zu dem verhafteten Nicusor Ceausescu, dem „Herrscher von Sibiu“, unterhalten haben soll und von diesem regelmäßig im Turninternat angerufen worden sei. Nicusor Ceausescu, ein Sprößling des von den westlichen „Demokratien“ hofierten Terroristen-Clans, der, wie rumänische Zeitungen jetzt berichteten, in seinem Büro Frauen vergewaltigt und eine sowjetische Ballettänzerin, die sich ihm verweigerte, ermordet haben soll.

Adrian Goreac tat sich während der „Epoche Ceausescu“ besonders dadurch hervor, daß er die Turnerinnen massiv unter Druck setzte. Wegen harmloser Briefkontakte in die USA und die BRD (die Securitate registrierte alles) mußten Turnerinnen befürchten, ausgeschlossen zu werden, was - vor dem 22.Dezember 1989 - mit einem Abstieg ins soziale Elend gleichbedeutend gewesen wäre.

In einem recht ausführlichen Interview der lokalen Tageszeitung von Deva 'Cuvintul Liber‘, „das freie Wort“, beschränkt sich Goreacs Kritik am bisherigen System lediglich auf den Vorwurf der ungenügenden materiellen Entlohnung und Versorgung. Die Geräteausstattung sei mangelhaft gewesen, nicht einmal Magnesia hätte es gegeben. Es sei fast unmöglich gewesen, ordentliche Kleidung zu besorgen, und bei Wettkämpfen im Ausland habe es nur Essen aus dem Koffer gegeben, weil die nötige Valuta fehlte.

Sportminister Angelescu will Disziplinen wie das Kunstturnen jedoch generell „gesünder“ aussehen lassen. „Welches Recht haben wir denn, die jungen Körper von achtjährigen Kindern zu mißbrauchen? Nur für ein paar Olympiamedaillen?“ Die Entwicklung der letzten Jahre habe dazu geführt, daß das Wettkampfalter der Turnerinnen immer weiter nach unten forciert wurde. Von den Altersmanipulationen, die ständig vorgekommen sein sollen, weiß Angelescu bislang nichts: „Ich kann nur versichern, daß es so etwas während meiner Amtsperiode nicht mehr geben wird.“

Thomas Schreyer

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