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„Einer Partei beitreten? - Das kommt nicht in Frage“

■ Karola Bloch, 1957 aus der SED ausgeschlossen, erinnert sich / „Trotz der Anhänglichkeit für die DDR ist sie mir ziemlich fremd geworden“ / Mit Freude, aber ohne Rachegefühle verfolgt sie die neue Entwicklung in ihrer alten Heimat / Welf Schröter sprach mit ihr am 24.November 1989 in Tübingen

Welf Schröter: Die Bevölkerung der DDR hat durch ihre zahlreichen Großdemonstrationen im Oktober und November 1989 einen grundlegenden Reformprozeß in der DDR erzwungen. Die alte Garde mit Honecker mußte abtreten. Nun endlich nach mehr als 30 Jahren hat sich die Akademie der Wissenschaften der DDR entschlossen, Ernst Bloch, ihr ehemaliges Mitglied, voll und ganz zu rehabilitieren. Wie hast Du auf diese Entscheidung reagiert?

Karola Bloch: Ich muß Dir sagen, daß ich mich darüber freue. Sie haben den Bloch rehabilitiert und im nachhinein wieder in die Akademie aufgenommen, genauso wie Robert Havemann. Jetzt scheint an der Spitze jemand zu sein, der sich die Bloch-Geschichte irgendwie zu Herzen genommen hat. Damals, 1956, als die Partei gegen ihn und mich vorging, obwohl er nie Parteimitglied war, galt ihnen der Bloch als zu offen. Er hatte unbekümmert seine Kritik an der Akademie der Wissenschaften geübt. Bloch widersprach, wenn Dinge gesagt wurden, die er falsch fand. Dies betraf nicht nur Wissenschaftliches. Wir waren eben demokratischer als dieser SED-Imperialismus. Die politischen Dinge müssen demokratisch diskutiert und nicht aufoktroyiert werden.

Heute fehlt mir der Ernst. Er würde sich bestimmt über die Demonstrationen in Leipzig freuen und wäre ganz auf der Seite des Volkes gegen die Diktatur. Jetzt kann sich ja auch Walter Janka wieder frei bewegen. Janka leitete damals den Aufbau-Verlag in Berlin und brachte das „Prinzip Hoffnung“ heraus. Mit ihm waren wir sehr gut bekannt. Ich bin gespannt, ob jetzt nach der Rehabilitierung wieder Blochs Werke in der DDR verlegt werden. Das würde mich freuen.

Erstaunlicherweise habe ich überhaupt keine Rachegefühle. Ich habe so viel Erfahrung mit einer Partei, daß ich weiß, wie das ist, wenn oben jemand befiehlt. Dies gilt besonders für die Deutschen, die ja so gehorsam sind. In Polen wäre das anders, davon bin ich überzeugt.

Würdest Du denn wieder Mitglied der SED werden wollen, wenn die Partei auch Dich rehabilitiert und wieder in ihre Reihen aufnimmt?

Nein, nein, ich sage prompt nein.

Wenn aber Dein Parteiausschluß rückgängig gemacht wäre?

Ich würde Dankeschön sagen, - wenn auch vorsichtig. Solange ich der Partei verbunden war, blieb mir das nicht gleichgültig. Es gibt Dinge im Leben, die einem haften bleiben. Ich erinnere mich noch genau an meinen Parteiausschluß im Jahre 1957 nach fünfundzwanzigjähriger Parteimitgliedschaft. Ich mußte mein Parteibuch am Ende einer Versammlung abgeben, auf der die Mitglieder auf Druck der Partei für meinen Ausschluß gestimmt hatten. Als ich abends nach Hause kam, saßen Ernst und unser Sohn Jan im Wohnzimmer und warteten auf mich. Ernst war sehr bedrückt. Er hatte Angst gehabt, daß zugleich eine Verhaftung folgen könnte. Tatsächlich gab es diesen Gedanken in der SED. Aber Ulbricht war ein Mensch, der sehr viel Verständnis für Taktik hatte. Obwohl Ulbricht wußte, daß ich ihn nicht ausstehen konnte, hielt er eine Verhaftung von Karola Bloch für schädlich. Darum haben sie davon Abstand genommen. An der Spitze der SED standen nun wirklich keine Leute, die uns sonderlich imponiert hätten. Wir schätzten deren Meinung nicht so sehr und haben uns oft darüber amüsiert. Zugleich betrübte uns diese Tatsache, denn zu vielen Dingen hatte die SED keine vernünftige und menschliche Einstellung. Das ist so ähnlich wie mit der DKP in der Bundesrepublik. Die ist mir zu eng und zu uninteressant. Dort würde ich nie beitreten. Zu den Grünen ginge ich vielleicht, da dort durchaus Vernünftiges gesagt wird und mehr Perspektive da ist. Aber hier in der Bundesrepublik einer Partei beitreten? Das kommt gar nicht in Frage. Ich würde diese Freiheit zu sagen, was ich will, ungeheuer entbehren. Es ist doch etwas sehr wichtiges im Leben. In einer Partei muß man sich an Vorschriften und Regeln halten.

Reizt es Dich denn, heute einmal wieder in die DDR und nach Leipzig zu fahren?

Trotz der Anhänglichkeit für die DDR, die ich noch immer habe, ist sie mir ziemlich fremd geworden. Die Zeit tilgt Erlebnisse und Erinnerungen. In diesen Dingen entbehre ich den Ernst ungeheuer. Eine Fahrt nach Leipzig wäre mit einem großen Gefühlsaufwand verbunden, da die Zeit in der DDR ein enormer Abschnitt in meinem Leben war. Als die DDR geschaffen wurde, hatte ich mich so sehr darüber gefreut. Es waren andere Zeiten und andere Verhältnisse. Ich war mit dem Geschehen in der DDR verbunden. Ich kann sagen, daß ich mitgeholfen habe, die DDR zu gründen. Auf vielen Versammlungen trat ich auf und sprach. Ich habe als Architektin dort gearbeitet. Ich bedauere es nicht. Es sind ebenso auch viele gute Sachen in der DDR entstanden. Auf dem sozialen Gebiet hat sich doch einiges getan. Manchmal kommt mir der Gedanke, einen guten alten Freund wie Jürgen Teller oder eine gute Freundin wie Irene Uhlmann in Leipzig zu besuchen.

Ich bin gar nicht froh, wenn die Leute die DDR verlassen. Es wäre besser, sie blieben dort, um mitzuhelfen, demokratischere Verhältnisse zu schaffen. Es fehlt nur dort an Leitfiguren, an Persönlichkeiten mit einer Ausstrahlung. Das aber fehlt überhaupt in unserer Zeit. Wir haben die Menschen verloren, die dich anziehen oder denen etwas vorschwebt. Kürzlich starb Dolores Ibarruri, die Passionaria im Alter von 93 Jahren. Sie war in meiner Jugend für mich ein Ideal. Es war fabelhaft, daß es solche Gestalten gab.

Mit freundlicher Genehmigung des Talheimer Verlages vorabgedruckt aus: Karola Bloch, „Die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden“ - Reden und Schriften in zwei Bänden. Herausgegeben von Anne Frommann und Welf Schröter.

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