piwik no script img

KABELGESCHWÜRE

■ Live-Elektronik und Blaskapelle

Die Besetzung der Stücke wird immer dünner, das Programmheft immer dicker, die Musik immer jünger, und das Publikum bleibt sich gleich - oder genau genommen wird es älter: von Mal zu Mal; man kennt sich aus der Innenwelt des modernen Kulturbetriebs, zumal wenn sie ein avantgardeverdauungsförderndes kaltes Buffet aufweisen kann. Das „Festival Neuer Musik“ besinnt sich momentan auf die guten alten Zeiten, wo eine Posaune noch eine Posaune blieb, wo „Musik“ noch Klangerzeugung bedeutet und man auf das Zerbrechen oder Verbrennen von Instrumenten bzw. Wiedergabegeräten verzichten konnte, um als fortschrittlich -brotloser Künstler zu gelten. Nicht verzichten kann man allerdings, wie am vergangenen Montag in der Akademie der Künste weder zu überhören noch zu übersehen war, auf Tonbänder, Computer und diverse Sorten Kabelsalat. Eine unvermeidliche Folge dieser kuckuckseiartigen Invasion der Elektronik ist das „Studio für elektroakustische Musik“, diesmal aus der DDR, das drahtkräftig für die Verfremdung vertrauter Laute sorgt. Was dann, zum Beispiel beim Trio für Posaune, Klavier und Live-Elektronik („ad hoc“), herauskommt, weckt Assoziationen zwischen Comic strip, Star wars und Spielautomaten und entspricht selbstredend völlig dem verwirrt-veränderten Zeitgeist. Der akustischen Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt: Die verkabelte Posaune grunzt, jault, kräht, wiehert und miaut wie ein ganzer Bauernhof, das elektrisierte Klavier plappert von somnambulen Erlebnissen, ein Schnarchen stürzt von der Bühne und der Computer gackert selig dazu.

In Variationen kehren die Effekte und Motive immer wieder: Ein oder zwei Instrumente werden von der Technik im Zeitalter ihrer reproduzierbaren Künstlichkeit befruchtet, diffus, irgendwie. Das scheint das „Neue“ an der Musik zu sein, und zwar schon seit Jahren. Genauer gesagt, seit der Nachkriegszeit, also fast so lange, wie der Begriff der „Neuen Musik“ durch die musikalische Avantgarde irrlichtert, nachdem er seinen Geburtshelfern Schönberg und Webern entrissen wurde.

Dem dumpfen Gefühl der Beliebigkeit hilft auch das Blechbläser-Ensemble „Aeolus“ nicht ab. Zwar spielten sie am Dienstag am gleichen Ort ohne Elektronik (eine Verstärkung wäre ja auch bei zwei Trompeten, Horn, Posaune und Tuba unzumutbar gewesen), doch auch diese „Neue“ Musik ist dies nur deshalb, weil sie sonst nie aufgeführt wird: Eine kurkapellenhafte Besetzung, wo der Tubist endlich mal so richtig auf die Tuba drücken kann, mit klassischem Programm von Lutoslawky über Henze bis zum unvermeidlichen Kagel. - Der ist im übrigen der einzige, was den Titel „Festival“ rechtfertigt, denn wenn etwas gefeiert wird, dann ist er das, samt seinen multimedialen Produktionen zwischen Komposition und Film.

Die Kultur des Abendlandes ist wohl mal wieder (oder immer noch) am Abnippeln: Es gibt kein Programm wie die Aleatorik, keine Bewegung wie Fluxus, keine Schule wie die Wiener. Das hat ja immerhin das Gute, daß die produktionszwanghafte Neuerungssucht auf diese Weise als solche erkannt und verabschiedet werden könnte. Die Aeolus-Musiker nennen das Dilemma „Stilpluralismus“, doch im Kreuzzug gegen die nachstrukturalistischen Postmodernen haben Leute wie Habermas längst erkannt, daß es sich bei der scheinbaren Stilvielfalt unserer Kultur um die sogenannte Unübersichtlichkeit handelt. Und schließlich dürfte seit Loriots „Ödipussi“ auch bekannt sein, daß es Übersichtlichkeit nur noch auf dem Buffet-Teller gibt.

Christian Vandersee

Weitere Konzerte bis 9. Februar im Rahmen der „Inventionen“, siehe LaVie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen