: Pützfelds verspätete Fahrt
■ Der Dokumentarfilm „Alte Kameraden“ unterlag im Fernsehwettkampf der aktuellen Sportberichterstattung
Nicht nur, daß Dienstag um 23 Uhr der letzte feste ARD -Termin für Dokumentarfilme ist, die diesen Namen verdienen. Die zunehmende Fülle an atem- und formlos hinter der Aktualität herhechelnden „Dokumentationen“ ist dafür ein schwacher, die Misere verschleiernder Trost. Ein ums andere Mal muß man sich auch noch gefallen lassen, daß die Programmgewaltigen selbst um diese späte Zeit vorher schnell nocht etwas anderes für wichtiger halten. Dieses Mal war es ein Tennisturnier in Australien, wofür der Dokumentarfilm vom Südwestfunk (Redaktion: Ebbo Demant) um eine weitere halbe Stunde in die Nacht hinein verschoben wurde. Das nächste Mal wird es vielleicht ein Eishockey-Turnier in Kanada oder der Ball der Sportpresse in einem Frankfurter Hotel sein.
Dabei hätten die Sportfreunde und Rekordbegeisterten bei diesem Film von Bernd Mosblech durchaus auf ihre Kosten kommen können: Vor der Kamera stand Christian Pützfeld, Jahrgang 1901, der mit 25 Jahren deutscher Radrennmeister war und auch mit 88 noch täglich seine 40 bis 50 Kilometer trainiert, mit einigen seiner Konkurrenten, die jedes Jahr im österreichischen Sankt Johann zum Rennen der rüstigen Rentner an den Start gehen.
Was die beinharten Opas immer noch schweißtreibend in die Pedale treten läßt, ist nicht so sehr die Aussicht auf Ruhm oder Geld; sie wollen sich vor allem selbst besiegen, den inneren Schweinehund überwinden. Ist es doch die allmählich aussterbende Generation derjenigen, die den Nationalsozialismus als junge Erwachsene erlebt hatten, die hier noch einmal durch besonders exemplarische Vertreter zu Wort kommt.
Da ist niemand dabei, der so tut, als habe er unter der Hitler-Herrschaft gelitten. Nazi freilich ist keiner gewesen, aber für das Vaterland schwärmen sie alle, wobei sie wohl nicht wissen konnten, wie sehr sie zur Zeit der Ausstrahlung des Films damit auf der Höhe der Zeit sein würden. Einer bewahrt immer noch seine schimmernden Kriegsorden mit dem Hakenkreuz sorgfältig unter Glas auf und präsentiert sie stolz der Kamera. Rührung überkommt ihn noch heute, wenn er an den größten Moment seines Leben denkt, als der Führer ihm die Wange tätschelte. Ein anderer sagt: „Du mußt auf alles verzichten, was man das Leben nennt, Wein, Weib und Gesang, damit du nicht Kraft verlierst, Substanz.“ Und: „Der Stärkste ist am mächtigsten allein, das war der Ausspruch Wilhelm Tells.“
Was Faschismus und Krieg sie lehrten, daß man nämlich alleine ist und daß man ebenso hart wie gegen sich selbst auch gegen andere sein muß, wenn man überleben will, diese Haltung zu bewahren, erlaubt ihnen heute ihr Sport. Sehr kameradschaftlich geht es unter ihnen wahrlich nicht zu. Sie haben nicht die geringste Scheu, sich hinsichtlich ihrer Leistungen gegenseitig zu denunzieren, was im Vergleich zum Verhalten unserer Spitzensportler oder Politiker ja auch wieder etwas erfrischend Ehrliches hat. Die alten Kameraden haben sich ihren Sozialdarwinismus in einer gezähmten Form bewahrt. Im sportlichen Gewand ist er auch in einer nachfaschistischen, zur Demokratie gezwungenen Gesellschaft legitim.
Das alles übermittelt Mosblech ohne Überheblichkeit. Entscheidend für den stillen, nie in hämische Ironie umschlagenden Humor des Films ist der durchgängige Formwille. Sein wichtigstes Mittel hier: Es werden nur die Antworten der alten Herren gezeigt, nicht die Fragen dazu. Das macht uns den flotten Pützi und seine „Kameraden“ fast sympathisch. Und damit hilft er uns, den Schweinehund in uns selbst aufzuspüren, der uns vor 50 Jahren vielleicht nicht anders als sie hätte handeln lassen und der den Faschismus immer und überall gefährlich macht.
Dazu bedarf es freilich der Konzentration nach Mitternacht. Was sagte doch ARD-Vorsitzender Hartwig Kelm, als die Öffentlich-Rechtlichen im vergangenen Sommer die Live -Berichterstattung über Wimbledon nicht bezahlen konnten und als es darum ging, das Ausbleiben auch von Tennis -Kurzberichten nach 23 Uhr zu begründen? „Um diese Zeit gehen selbst notorische Fernsehzuschauer bereits zu Bett.“ Wie wahr - und wie beleidigend für die alten Kameraden und für uns, die wir von ihnen lernen wollen.
Horst Pöttker
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