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Currywurst und Hölderlin

■ Zur Programmreform des Hessischen Fernsehens / Neue Magazine, mehr Unterhaltung, mehr Langeweile

Der Knodderer, Queen's Palace, Zeil um zehn, Main Line, Das starke Stück der Woche und Frisch gestrichen - das sind nur einige Titel brandneuer TV -Sendungen in Hessen 3 nach der gründlichen Programmreform zu Beginn des neuen Jahres. Näher 'ran an den Zuschauer, heißt die Devise, mehr Unterhaltung, mehr Aktualität und ein „stärkerer regionaler Bezug“, der ab sofort bis nach Thüringen (DDR) reicht.

Die Konkurrenz der privaten und per Kabel bundesweit zu empfangenden anderen ARD-Regionalsender ließ den Frankfurter Fernsehmachern keine Ruhe. Stolz präsentiert der Hessische Rundfunk sein „auf Eigenständigkeit zielendes Vollprogramm“, das nun - bis auf die ominöse „Mittagslücke“ - die Hessinnen und Hessen keine Minute mehr alleine läßt.

Um vor allem jüngere FernsehzuschauerInnen von Leckerbissen wie Das liebestolle Hospital (RTL plus) oder Das Zombie hängt am Glockenseil (SAT.1) wegzulocken, ersannen die Unterhaltungsstrategen des Hessischen Rundfunks das Magazin Main Line, das sich jeden Montagabend um 20 Uhr „live“ von einem mehr oder weniger öffentlichen Ort vertrauensvoll an die hessische Jugend wendet. Die angestrebte „bessere Wiedererkennbarkeit“ ist durch die 24jährige, freiwillig aus München in die Mainmetropole gewechselte Moderatorin Judith Stein gesichert, doch leidgeprüfte FrankfurterInnen trauten ihren Ohren nicht, als sie vernahmen, Sitz der Redaktion von Main Line sei Offenbach! Die knapp dreißig Sendeminuten Nachrichten aus der Provinz, offiziell als „Musik, Talk, Trends und News aus der Stadt“ getarnt, waren dann keine wirkliche Überraschung mehr: Der Versuch einer jung-dynamischen Ästhetik blieb auf dem Niveau von Abschlußbeiträgen eines Video-Workshops der Gewerkschaftsjugend hängen. Unter den rekordverdächtigen Kürzest-Interviews mit RepräsentantInnen der Frankfurter Kulturwelt ragte allerdings ein so kaum zuvor gesehenes Zeugnis postmoderner Apotheose heraus, das dokumentarischen Wert beanspruchen darf. Karl-Heinz Leber alias „Snackpoint Charlie“, unübersehbar Besitzer einer Frankfurter Imbißbude, saß der Moderatorin Rede und Antwort über die „ideale Currywurst“ - „Nicht alles zusammenmanschen, Ketchup und Curry müssen getrennt serviert werden!“ -, während mitgebrachte Arbeitsproben und eine Riesenschüssel Pommes auf dem Tisch dampften. Sekunden später sprach der gegenüber sitzende Verleger und Ex-SDS-Vorsitzende KD Wolff von Hölderlin und äußerte den Wunsch, Kafka neu zu edieren. „Kafka - das ist ein Wort“, beschloß Frau Stein das Gespräch, und während der Abspann lief, machten sich die Gäste vor Ort über die Currywürste her.

Sublimere Unterhaltung bietet das Kulturmagazin City, das sich jedoch nicht zwischen Magazin und Talkshow entscheiden kann und so dem Sog des intellektuellen fast food ausgesetzt ist - besonders dann, wenn der im Wechsel mit dem alerten Harald Lüders moderierende Altgermanist Martin W. Lüdke seiner grotesk blasierten Spießigkeit freien Lauf läßt wie im Gespräch mit Daniel Cohn-Bendit, dem er mangelnde revolutionäre Konsequenz vorhielt. Egon Krenz blieb dieser Vorwurf in der sonntäglichen Wechselrede erspart. HR-Gesprächspartner Georg M. Hafner zeigte gar empathisches Verständnis für den Genossen Generalsekretär, der als arbeitsloser Ehemann und Vater nach Hause kehrt und nicht weiß, wie er es der Familie erklären soll.

Vorläufiger Höhepunkt der Frischzellenkur von Hessen 3 ist die neue HR-eigene Talkshow mit dem beziehungsreichen Titel Zeil um Zehn. Sie beginnt zwar um 10 vor 10, dafür sitzen die vier Gäste im neu eröffneten „Arabella Grand Hotel“ und dürfen sich von der Gesellschaftskolumnistin der Zeitschrift Elle befragen lassen. Bei der Premiere flüchtete selbst der genügsame Fernsehkritiker der Frankfurter Rundschau in eine unübliche Sottise: Die Moderatorin habe „den Charme einer Blechbüchse“ und sorge im Gegensatz zur jetzt in Hessen ausgeblendeten Lea Rosh für „geballte Langeweile“. Erst im April, so vertröstet der Hessische Rundfunk seine erwartungsvollen Kritiker, wird Queen's Palace Premiere haben. Dann soll Ernst gemacht werden „mit dem provokanten Anspruch, eine Show des schlechten Geschmacks“ auf die ZuschauerInnen in der ersten Reihe loszulassen.

Reinhard Mohr

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