DDR in die Nato: Absurd!

■ Ex-General Opel übt scharfe Kritik an Nato-Konzept / „Einheit kommt vor Bündnistreue“ / Deutsch-deutsche Kriegsstärke beträgt fünf Millionen Soldaten / Egon Bahr will Auflösung der Militärbündnisse vor Vereinigung / Belgien erwägt Truppenabzug aus der BRD

Bonn (ap/dpa/taz) - Als „schlicht und ergreifend absurd“ hat der SPD-Bundestagsabgeordnete und Ex-General Manfred Opel amerikanische und britische Vorstellungen zurückgewiesen, ein vereintes Deutschland könne es nur in der Nato geben. „Wenn es überhaupt eine Priorität gibt, dann lautet sie: Einheit kommt vor Bündnistreue“, betonte Opel. Da die Einheit aber eine stabile gesamteuropäische Friedensordnung und damit „das Absterben der Militärbündnisse“ voraussetze, seien die von US-Außenminister James Baker und seinem britischen Amtskollegen Douglas Hurd vorgetragenen „Gedankenspiele Nonsens“.

„Was soll das Gerede von einer um die DDR bereicherten Nato, die am besten direkt bis zur russischen Grenze reicht. Das ist genauso absurd, als wollte die Sowjetunion als Vorbedingung zur deutschen Einheit fordern, den Warschauer Pakt bis zum Atlantik auszudehnen“, sagte der SPD-Politiker, der als erster aktiver General der Bundeswehr in den Bundestag einzog.

Wer nach Öffnung der Mauer noch die gleichen Forderungen wie vor dem 9. November nach Reduzierung der Streitkräfte der beiden Militärbündnisse auf die Hälfte der jetzigen Nato -Stärke erhebe, gefährde die deutsche Einheit. „Die Kriegsstärke der Truppen in beiden Teilen Deutschlands beträgt fünf Millionen Soldaten. Wenn sie sich bei den Händen nähmen, stünden sie in Dreierreihe auf den Grenzen rund um Bundesrepublik und DDR.“

Der Abrüstungsexperte der SPD Egon Bahr hat ebenfalls die Auflösung der Nato und des Warschauer Pakts als Vorbedingung für eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten bezeichnet. An die Stelle der Militärbündnisse solle ein europäisches Sicherheitssystem treten, das die Stärke der Streikräfte jedes Landes festlegen solle. Darüber sollte in der zweiten Phase der Wiener Verhandlungen beraten werde. Bei erfolgreichen Verhandlungen käme dann die Bundeswehr mit 250.000 Soldaten aus.

Belgien erwägt bereits jetzt unabhängig von einem gemeinsamen Nato-Konzept den vollständigen Abzug seiner Nato -Streitkräfte aus der Bundesrepublik.Der belgische Verteidigungsminister Guy Coeme erklärte gestern, angesichts der politischen Entwicklung im Osten Europas werde dieser Schritt „wahrscheinlich“. Er habe den Generalstab der belgischen Streitkräfte bereits beauftragt, verschiedene Szenarien für den Truppenrückzug auszuarbeiten. Gegenwärtig sind noch rund 25.000 belgische Soldaten und ebensoviel Versorgungspersonal überwiegend in Nordrhein-Westfalen und Hessen stationiert.

Coeme begründete die Überlegungen seiner Regierung mit der abnehmenden militärischen Bedrohung durch den Warschauer Pakt. Ein Überfall Westeuropas durch die Sowjetunion sei immer unwahrscheinlicher geworden. Mit einem Truppenrückzug wäre Belgien das erste Land in einem der beiden Militärbündnisse, das seine militärische Präsenz im Stationierungsgürtel diesseits und jenseits der Blockgrenze vollständig aufgibt.

Auch in den Niederlanden waren schon vor einiger Zeit ähnliche Überlegungen zum Truppenabzug angestellt worden. Bisher hatte sich die Nato wiederholt zu dem Grundsatz bekannt, keine einseitigen Abrüstungsmaßnahmen einzuleiten. Ein Nato-Sprecher reagierte gestern in einer ersten Stellungnahme äußerst zurückhaltend auf den belgischen Vorstoß.