: „Ich bin weg und hier bin ich auch“
■ „Mitten im Krieg“, der förderpreisgekrönte Roman von Irina Liebmann
Das Lesen ist kein langer ruhiger Fluß mehr. Die Wörter legen sich quer bei Irina Liebmann, als wollten sie schnelles Verstehen behindern; als sollten wir wieder entziffern lernen und das Buchstabieren der Dinge. „Am 27. Januar 1986 schneit es über Berlin. Der
Wind treibt den Schnee hoch und runter ... Unter den Gleisen ist ein Durchgang zur schöneren Seite Berlins, Betontunnel, darin stehen Leute aneinandergedrängt weil es so zieht und der Schnee bis hier reinweht, wo ohnehin schon alles naß ist von diesen Schuhsohlen, mit denen man hundert Meter laufen kann und hinterläßt immer noch nasse Spuren wie ein Lurch (...), Klamotten in graugrünen Farben und keine Facon, Klumpenart, ich auch.“
So beginnt der Roman „Mitten im Krieg“, für den Irina Liebmann den Bremer Literatur-Förderpreis bekommen hat. Ein Zustandsbericht einer Veränderung. Ein Reflektions-Stück aus dem Berlin vor der Maueröffnung. Das kann Gefahr laufen, bei einem Sightseeing-Abstecher in die „Zeit davor“ stehenzubleiben. In Irina Liebmanns Roman bewegen wir uns aber, zusammen mit dem autobiographischen ICH, ruckartig zwischen Außen-und Innen
räumen, d.h.: Wir erleben, wie eine ihre Möglichkeit erlebt, auszureisen, von Ost- nach West-Berlin - und nach Rom zum Beispiel, wo scheinbare Flüchtigkeiten eine Art bewegtes Stilleben schaffen mit retuschierten Rändern; konzentrierter Blick auf den Gegenstand in der Mitte des Bildes:„... die Trottoire, wo alte Männer immer noch versuchten, langzuschlurfen, die Frauen liefen alle schneller, schäbige Pelzmäntel unterm Kinn mit einer Hand zusammenhaltend, ..., merkwürdig langsam bewegten sich die Hunde unter den tropfenden Balkons die Neubaustraßen lang, so eng war alles, so verkantet ... .“ Keine sentimental journey, sondern Blicke von einer, die ihren Augen nicht trauen will. Die klären will: Wie bewegt sich eine weg von einem Punkt? Bewegt sie sich wirklich? Was sieht sie dabei? Verändert sie sich, „bloß“ weil sich die Perspektive von Ost nach West verlagert?
Irina Liebmann, Autorin aus Ost-Berlin, wohnhaft in West -Berlin, mit Reisemöglichkeit, also privilegiert, also mit schlechtem Gewissen, hat sich in „Mitten im Krieg“ eine parteinehmende Anklage vom Herzen geschrieben: „In der Pause laufen wir über Matsch, ein Professor und ich, umgepflügte Felder in der Sonne, Apfelbäume am Wegrand, die sind bemoost. Und wir dachten schon, Sie sind weg. Ich bin weg und hier bin ich auch, kann das sein? Er sagt nichts, wir laufen. Wie ist es für Sie? Wie ist es, wie ist es, ich bin zweimal drei Stunden gefahren, von Westberlin nach Ostberlin (...), wie ist es, wie ist es, sehen die Menschen hier wirklich so lieb aus, so ernst und verständlich, und sind die am Kurfürstendamm wirklich so eingekremt und ausgepolstert ... .“ Ein Mann schiebt sich zwischen die Sätze, bloße Rückbesinnung mit Bildern wie Puzzleteilchen: „Hast du die Nacht genutzt? Schwer hineinzukommen. Ins Dunkle gewühlt, mit dem Gesicht zuerst, man konnte kaum etwas erkennen, Gesichter, abgewandt, waren da, unwillig, du warst nicht dabei.„
Es ist, als suchte Irina Liebmann das Wesen der Rituale, die sich wiederholen wie Lidschläge oder wie Straßenbahnen, und doch ist das Leben nicht die Wiederholung des Immergleichen. “... die ganze Straße war leer, und da ich nichts Schweres trug wie sonst immer auf diesem Weg, und da niemand mich hier erwartete und dort, wo ich herkam, auch nicht, und überhaupt niemand wußte, wo ich bin, hatte ich das Gefühl, daß es mich gar nicht gibt und dachte: unerkannt, unerkannt.„ Satzfetzen, als wären sie eine Erkenntnis, wie hingeworfen, ohne nachzufedern; Sprache, um Ordnung zu schaffen, aufzuräumen ohne die Larmoyanz des Bauchnabels. Claudia Kohlhas
Irina Liebmann „Mitten im Krieg“, Frankfurter Verlagsanstalt
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