: DDR-Opposition vor Regierungseintritt?
■ Opposition ringt um Eintritt in die Regierung / Erste Koalitionsgespräche am Sonntag? / Rücktritt der CDU-Minister vorerst folgenlos
Berlin (dpa/ap) - Die Opposition am runden Tisch ist allem Anschein nach zur Regierungsmitverantwortung und zum Eintritt in die von der SED geführte Übergangsregierung von Hans Modrow bereit. Bis gestern nachmittag konnte sie sich aber noch nicht über die inhaltlichen Forderungen sowie die verlangten Ministerposten und deren Aufteilung verständigen.
Ministerpräsident Modrow will schon morgen mit der Opposition die Verhandlungen über eine Regierungsbeteiligung aufnehmen, wie er Donnerstag abend am Rande der Gespräche mit Kanzleramtsminister Rudolf Seiters erklärte. Bei diesem Gespräch erklärten sich auch die Oppositionsgruppen des runden Tisches einverstanden, daß mit den Verhandlungen über eine Vertragsgemeinschaft zwischen der Bundesrepublik und der DDR schon vor den Wahlen am 6.Mai begonnen wird. Die Opposition müsse jedoch beteiligt werden.
Vor Journalisten in Wien hat Modrow bei einem Kurzbesuch in Österreich ein Ruhen seiner SED-Mitgliedschaft nach der Bildung einer breiteren Koalition nicht ausgeschlossen, jedoch bereits jetzt große Distanz zu seiner Partei zum Ausdruck gebracht. Seine Verantwortung als Ministerpräsident gelte „einzig und allein gegenüber dem Volk“, sagte Modrow.
Tiefe Besorgnis über den Weggang von täglich 2.000 Menschen äußerte Wolfgang Schnur, Vorsitzender des Demokratischen Aufbruchs. Der akute Notstand sei zwar noch nicht gegeben, sagte er. Es müsse jedoch dringend etwas geschehen, damit keine Angstzustände ausbrächen. Den Bürgern müsse neue Hoffnung gegeben werden. Notwendig sei unter anderem die Aufhebung aller Hemmnisse für eine Entwicklung der Privatwirtschaft sowie die Beseitigung der Ungerechtigkeiten im Lohngefüge.
Der Demokratische Aufbruch sei zur Mitarbeit in der Regierung bereit, wenn Modrow erkläre, daß nunmehr eine Regierung der nationalen Verantwortung und des Vertrauens notwendig sei. Auch in einer neuen Regierung seien jedoch SED-Mitglieder vorstellbar, sagte Schnur. Auch Sprecher anderer Oppositionsparteien äußerten sich in diesem Sinne. Die SPD jedoch soll sich angeblich zieren.
Auf Unverständnis stieß sowohl bei der Opposition wie auch den anderen alten Blockparteien der am Vorabend von der CDU bekannt- gegebene Rückzug ihrer drei Minister aus der Regierung. Sowohl die Liberaldemokratische Partei (LDPD) wie auch die National-Demokratische Partei (NDPD) und die Bauernpartei (DBD) wollen in der Regierung bleiben und mit der Opposition in einer Großen Koalition zusammenarbeiten. Die LDPD erklärte nach einer Sitzung des Fortsetzung auf Seite 2
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Zentralvorstandes, besonders angesichts des offensichtlichen Zerfallsprozesses in der SED-PDS und bestimmter widersprüchlicher Vorgänge in der CDU setze die Partei auf Verläßlichkeit. Die NDPD verlautbarte, sie wolle kompromißbereit mithelfen, die Regierbarkeit der DDR unter den gegenwärtig „außerordentlich komplizierten Bedingungen“ sichern zu helfen. Die Bauernpartei sieht keine Veranlassung, sich zurückzuziehen. Die Partei wolle vorgezogene Neuwahlen beantragen, falls eine große Koalition nicht zustande kommt.
Zustimmung fand die Haltung der Ost-DDR lediglich in Bonn bei CDU-Generalsekretär Volker Rühe. „Die Basis hat sich durchgesetzt“, sagte Rühe.
Die SED-Basisorganisation berät in
Ost-Berlin seit Freitag über die in allen Teilen des Landes immer nachdrücklicher von Parteimitgliedern geforderte Auflösung. Es gehe auch, so eine Sprecherin der Partei, um das von der Opposition verlangte Ruhen der Parteimitgliedschaft des Ministerpräsidenten und der 16 SED -Minister. Im 'Neuen Deutschland‘ rief die Erneuerungsfraktion der ehemaligen Staatspartei dazu auf, sich als Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) neu zu bilden. Die DDR brauche eine starke linke Kraft.
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