: SCHÖNE VERWIRRUNG
■ Shakespeares „Sommernachtstraum“ im Theater zum westlichen Stadthirschen
Seitdem einmal ein Pfeil Eros‘ sein Ziel - das Herz ein keuschen Jungfrau - verfehlt hat, und sich in das Gewächs einer Pflanze bohrte, deren Blätter sich sofort rot verfärbten, kommt der Stoff, der die verliebten Einbildungen macht, in der freien Natur vor: als Extrakt der Pflanze „Love-in-idleness“, zufällig verteilt in der Welt. Der Befall mit der Krankheit hat gewissermaßen jeden göttlichen oder höheren Sinn verloren und ist Sache herumgeisternder Geister geworden, das heißt, niemand hat mehr was anderes im Kopf und jeder findet das völlig normal. Verliebte Einbildungskraft und eingebildete Verliebtheit sind nicht mehr als solche auffällig: „normal vision“.
Oberon, Herr des Waldes, im Zwist mit seiner königlichen Gattin Titania liegend, hat sich in Besitz des Wunderkrauts gebracht, das in jedes beliebige Bild verliebt machen kann. Gleichzeitig haben sich zwei zukünftige Paare aus Athen, wo geltende Gesetze ihre Verbindung nicht zulassen, in den Wald geflüchtet, nicht wissend, daß es ein Feenwald ist. Hier gestalten sich die Zugriffe der Herrschaft kraft des Krauts unmerklicher, aber ungleich wirksamer als in der lichten Polis. Außerdem behandelt Oberon seine Frau mit dem Medikament, so daß sich die in einen Esel verliebt, der eigentlich ein verzauberter Handwerker ist, zu einer Truppe dilettierender Schauspieler gehörig, die sich zwecks Proben ebenfalls in den Wald zurückgezogen hatten. Alles mündet am Ende in die zu Anfang aufgeschobenen Hochzeitsfeierlichkeiten des athenischen Herzogs und der Amazonenkönigin.
Shakespeare erfindet einen Experimentalraum, wo beliebig mit der halluzinogenen Substanz herumprobiert werden kann, Feenwald genannt. Dort halten sich die Ursachen aller Verwirrungen auf: der dilettantische Regisseur, der unsichtbare Inszenator, die lachenden Zuschauer und, als totale Macht, die Einbildungskraft. Damit ist das Urmoment von Theater selber Gegenstand. Gelingt es nicht, die Einbildungskraft zum freien Spiel anzureizen, bleibt nur der lieblose Raum übrig. „Fancy-free“ ist übersetzt gleich „frei von Liebe“.
Versuche der aufwendigen szenischen Simulation des Feenwaldes mündeten 1905 bei Max Reinhardt in der wirklichen Verpflanzung eines deutschen Märchenwaldes auf die Bühne. Das Konzept, den gewaltsamen Zauber in Ausstattungszauber aufgehen zu lassen, verstellt gewiß den Blick auf den präzisen Bezug der Feenwelt auf die ganz normale.
Ganz anders in dieser jüngsten Realisation: Der Stadthirsch findet keinen Wald. Die Bühne weiß und leer, the empty space. Große Gnade, keine Symbole sind aufgebaut. Statt durch romantische Bauten gehen die Schauspieler auf einem Strich. Wenn sie im Dunkeln aus dem Publikum den Bühnenraum betreten, bemerkt man eine dünne weiße Linie, die ihn durchschneidet und aufteilt, an der entlang sich eine der Athener Frauen von den Verboten und Vorschriften ihres Vater und des Herzogs entfernt. Initiale Bewegung. Die Linie, einmal gezogen, halbiert und verdoppelt von da an den Raum, wo es Feen und Menschen, Schauspieler und Zuschauer, Geliebte und Nicht-Geliebte gibt. Und sie markiert eine Trennung: Zwischen Shakespeares Text und den Stadthirschen. Oberons Satz: „Ich bin unsichtbar“ beschreibt auch die Haltung der Kreuzberger Truppe zum elisabethanischen Theater. Das verunsicherte, ängstliche Herumtappen der Handwerker-Schauspieler im Stück, die mit dem Rücken zur Wand die Bühne nicht betreten, ist eine (nicht parodistisch gemeinte) Selbstdarstellung des Ensembles. Genauso sucht Obereon in seinen Manteltaschen nach der einen halluzinogenhaltigen Wunderblume wie nach einem Schlüssel, aber er findet alle möglichen Kräuter, und keiner kann wissen, ob das gebrauchte dann das richtige war.
Formalisierte Gesten aus dem japanischen Kabuki-Theater und des Bhuto sollen anstelle der optischen Illusion die Entrücktheit des Feenwaldes spielerisch darstellen. Sie bestimmen vor allem das Spiel der Feenkönigin Titania (Elisabeth Zündel). Das gibt auch dem europäischen Blick was zu sehen: Titania ist schon von Anfang an, was sie sein wird, nachdem ihre Augenlider mit dem in jedes Bild verliebt machenden Saft bestrichen sind: pure passive Sensibilität, Wachsbildseele, Einprägungen erleidend. Die Arme sind Antennen, alles was auf der Bühne passiert schreibt sich in den Bewegungen ihrer Arme schlangengleich ein, und fast würde man erschrocken sein vom trostlosen Bild einer vom Eros, dem schlechthin überwältigenden, Überwältigten, wäre nicht all das viel zu schön.
Als Ersatz einer Waldbühnenillusion begegnet uns Farbenzauber. So wird der weiße Raum mittels Gaze zum schwarzen, dunklen Wald. Die unvermischten Grundfarben blau/rot/gelb von Kostümen und Licht markieren eine elementare Feenwelt. Weil sonst überhaupt nur blasse und abgemischte Farben vorkommen, werden die reinen unwirklich, nicht materiell - schön, aber steril. Unvermischt und unversaut eben. Unblutiger Medienkrieg. Ganz leise, kaum mehr merklich, ist die Brutalität gegenüber der derben Obszönität, die sich Shakespeare da vorgestellt haben mag, wenn Oberon Titania dazu bringt, den Esel zu umarmen und dann den Bilderzauber abschaltet.
Statt eine Parabel der pharmazeutischen Manipulation des Imaginären zu spielen, läßt man den unsichtbaren Geist sein Unwesen treiben: Kein Schauspieler spielt den Puck, den genialen Arrangeur aller Verwirrung, den hier tatsächlich unsichtbaren Gehilfen Oberons. Puck der Troll, das ist der, der immer irgendwie seine Finger mit drin hat. Er wird kenntlich indem er bloß tut, was Geister nie tun, nämlich Spuren hinterlassen: nur ein Hut schwirrt herrenlos durch den Raum oder fährt ferngesteuert auf einem kleinen Autogestell herum und bleibt liegen, so daß die Bühne schließlich von schwarzen Hüten ganz gesprenkelt ist. Ein Bild von Magritte. Puck ist der Mr.Hyde des Oberon, des unbeweglichen Bewegers im grauen Mantel, oder einfach der Pan Tau der Szene. Zu dem alles in freies Spiel verwandelnden Wunderelixier der Einbildungskraft verhalten sich die Schauspieler wie jene Kraftprotze, die schon als Kind in den Trog mit dem Trank gefallen sind.
Ralf Fiedler
„Ein Sommernachtstraum“, bis 25.3.; Do-So 20 Uhr. Vorbestellungen ab 18 Uhr: 785 70 33. Die Aufführungspraxis des Stückes ist dokumentiert in der laufenden Ausstellung in der Akademie der Künste.
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