: KUNDENDIENST FÜR OST UND WEST
■ Der Ostberliner Szeneklub „JoJo“
Die Tage der Euphorie deutsch-deutscher Begegnung sind gezählt. Inzwischen geht es auch im Kulturbetrieb Ost -Berlins hart zur Sache. In den prominenten Klubs und Tanzlokalen muß man als Wessi jetzt schon seine Karte in harter Währung bezahlen. Schummeln hilft nicht: die Ordner sind zu dienstbeflissenen Zöllnern in eigener Sache geworden und fordern ziemlich unverfroren den Paß oder Personalausweis. Die Argumente der Klubchefs ob der notwendigen Umstellung auf ökonomische Effizienz durch den Wegfall staatlicher Subventionen liegen durchaus im Trend der Zeit, dem kulturellen Biotop schaden solche rigiden Maßnahmen allerdings erheblich.
Der „JoJo“, Ost-Berlins größter Szeneklub, geht auch hier eigene Wege. Kein umständlicher Kartenvorverkauf, keine Paßkontrollen. Höflich bittet ein Schild denjenigen, der es vermag, seinen Obulus in D-Mark zu zahlen, wer nicht, für den öffnen sich auch für sechs Ostmark die Türen. Solcherart Kundendienst scheint sich auch auszuzahlen, bereits jetzt kommen zu den gefragten Wochenend-Discotheken und Livekonzerten bis zur Hälfte der Besucher aus dem Westteil der Stadt in den günstig gelegenen Klub in der Wilhelm-Pieck -Straße, genau im Zentrum der Übergänge Friedrich-, Invaliden- und Chausseestraße.
Seit der Öffnung im Oktober 1988 bietet der zweigeschossige, rotschwarz gestylte „JoJo“ mit seinem eklektizistischen Ambiente, gespeist aus realsozialistischer Mangelwirtschaft, Raum für eine Neue Gemütlichkeit. Klappbares Holzgestühl aus der Sowjetunion und durch Glaswände abtrennbare Räume ermöglichen die Synthese verschiedener Veranstaltungsformen, erlauben dem Besucher ein Pendeln zwischen Live-Musik und Talk-Runde. Die Programmgestalter des „JoJo“ bieten ein anspruchsvolles Programm zwischen Avantgarde und Kleinkunst aus Ost und West, setzen auf ein Puzzle aus experimentellem Rock, thematischen Verstaltungen, Discotheken und einer Gastronomie zu erträglichen Preisen (Drinks zwischen zwei und sechs Mark). So war der Klub vor der Wende eines der wenigen Lichtzeichen in der kulturellen Dunkelkammer des Landes. Doch nach der Wende rücken andere Klubs, befreit vom staatlichen Dirigat, nach, die Konkurrenz auch im Ostteil der Stadt wächst. Profilierung und Effizienz sind derzeit die Schlagwörter der Branche.
Der „JoJo“ setzt auf ein für die DDR neuartiges multikulturelles Konzept. Nicht nur aus kommerziellen Gründen heraus: Bislang galt die öffentliche Problematisierung des Zusammenlebens unterschiedlicher Nationalitäten gardezu als Tabu. Und nur langsam bewegt sich die neue Regierung auf eine Politik der Akzeptanz des Fremden im eigenen Land zu. Seit Anfang Februar bietet der „JoJo“ dem „Berliner Ring“, einer sich bildenden Dachorganisation für in der DDR lebende Ausländer, Hausrecht und Hilfe, versucht gerade für diese Leute verstärkt Kommunikationszentrum zu sein. Zum anderen will er bleiben, was er schon lange ist: das Zentrum der freien Theaterszene der Stadt. Im Klub entstandene und von ihm gesponserte Inszenierungen wie Wolokolamsker Chaussee I-IV von Heiner Müller durch den „Theaterwürfel“ oder die Lautperformance Was immer dieser Mund auch spricht der „Theatergruppe Lautlinie“ waren Highlights von überregionalem Interesse. Am 4. und 5. Februar bringt die neugegründete Gruppe „Theater 89“ ihre Version des Woyzeck heraus. Daneben setzt der Klub vor allem an den Wochentagen auf Lesungen, Vorträge, betreibt Aufklärung in Sachen Drogen und Aids und hilft auch mal dem gegenüberliegenden Klub der Volkssolidarität kulturelle auf die Sprünge.
Doch mit Toleranz und veranstalterischer Verve ist der Klub in Zukunft allerings nicht zu halten. Finanzielle Sorgen versuchen heute schon, die Träume der Programmgestalter ins Aus zu drücken. Eine Zukunft hat der „JoJo“ letztlich nur, so der Tenor der Spezialisten, wenn er auch D-Mark einspielt und mit diesem Geld auch für internationale Projekte lukrativ bleibt und wird. Doch ans Westgeld will er nicht durch distriktive Maßnahmen heran, die zudem seinen guten Ruf in der Szene demontieren könnte. Im Gespräch sind kurzfristige Vermietungen an Westberliner Privatpersonen und Institutionen, möglich wären direkte Kooperationsbeziehungen zu westlichen Veranstaltungshäusern. Noch spielen die Westberliner Bands für ein Mittagessen, fragt sich wie lange noch.
Paul Kaiser
„JoJo„-Klub in der Wilhelm-Pieck-Straße, Ost-Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen