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Großer Gegenwind für Hertha BSC

■ Hertha BSC - 1. FC Union 2:1 (1:1) / 40.000 Fans aus dem Osten kamen ins Olympiastadion und jubelten dem 1. FC Union zu / Hertha gewann durch Glückstreffer von Libero Greiser / Union hatte zwar erheblich mehr Chancen, bekam aber das runde Leder nicht zwischen die Pfosten / Vermutete rechtsradikale Parolen blieben aus

Eine ungewöhnliche Situation im Olympiastadion. Hertha BSC ist dort die gastgebende Mannschaft und wird vorbehaltlos angefeuert, während das jeweilige gegnerische Team im mildesten Falle ausgepfiffen, ansonst mit üblichen Beschimpfungen bedacht wird. Dieses Mal aber trat eine Mannschaft gegen die Herthaner an, die fast genauso viel Sympathien besitzt: der 1.FC Union aus Oberschöneweide. So enstand eine knifflige Situation für die weit mehr als 50.000 Zuschauer. Wen sollten sie anfeuern?

In den ersten Minuten des wegen großen Andrangs mit Verspätung begonnenen Spiels kam die überraschende Lösung. Der 1. FC Union, das vermeintlich schwächere Team, wurde für jede Aktion mit tosendem Beifall beklatscht, der Applaus für Hertha fiel merklich leiser aus. Die 40.000 Fans aus dem Osten hatten sich diesmal für „ihren“ Verein entschieden.

Es war das allererste Aufeinandertreffen der beiden Vereine, und sehnsüchtig erwartet wie ein altes, traditionelles Lokalderby - mehr in Verbundenheit denn in Rivalität. Doch woher diese Verbundenheit kommt, weiß niemand so genau zu sagen - schließlich existiert der 1.FC Union erst seit 1966.

Die enge Verbundenheit der Anhänger beider Klubs kommt wohl eher von ihrem Ruf (siehe taz vom 20.11.89) her. Beide gelten als die wohl „schlimmsten“ in ihren Ländern, wovon aber, zumindest im Stadion, nicht allzu viel zu spüren war. Auch die Befürchtung, nach den üblen Schreiereien vor einer Woche während des Turniers in der Werner-Seelenbinder-Halle, im Stadion könnte sich in geballter Form rechtsradikales und faschistisches Potential entladen, bewahrheitete sich nur in kleinem Rahmen.

Auch bei allem Friede-Freude-Eierkuchen gab es dann doch noch das für Fußballrandalierer so eminent wichtige Feindbild: Ein kleines Grüppchen in der hintersten Ecke des Oberrings entpuptte sich plötzlich als Anhänger des ehemaligen Staatssicherheitsklubs BFC Dynamo; sie wurden erst mit „Stasi raus„-Rufen niedergebrüllt und später von der Polizei abgeführt.

Das Spiel selber war eher nebensächlich. Zwar gingen beide Mannschaften mit sehr viel Ehrgeiz in ihr erstes Feldspiel dieses Jahres, doch Sehenswertes und Unterhaltendes boten sie zu selten. Nach dem Winterurlaub erst seit wenigen Tagen im Training, fehlten den meisten Spielern noch die Puste und das Spielverständnis. Letztendlich gewann Hertha durch eine Glücksschuß von Libero Greiser, Union hatte zwar wesentlich mehr Chancen, aber brachte den Ball nicht ins Tor, eine Macke, die sich die Herthaner gerade mühevoll abgewöhnen.

Und wohl auch abgewöhnen müssen. Denn am kommenden Samstag wird es schon etwas ernster gegen die Bayern aus München, obwohl auch das nur ein Freundschaftsspiel ist. Gegen den westdeutschen Meister können die Berliner sehen, ob sie schon gut genug für die erste Liga sind oder den Aufstieg lieber noch bleiben lassen sollen. Dieses Spiel ist wohl auch die vorerst letzte Gelegenheit für Ossi-Fans, billig Karten zu erstehen. Nachdem beim Union-Spiel das größte westdeutsche Kommunikationsunternehmen alle Karten kaufte und, gemäß ihrem Jubiläum, für 500 Pfennige Ost/West weiterverscherbelte, gibt es noch einmal billige Preise, anschließend ist „Hertha Live“ nur noch gegen harte Devisen möglich.

Schmiernik

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