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Lindenstraße, behindertengerecht

Die „Aktion Autonom Leben“, eine Beratungsstelle für Behinderte in Hamburg, meldet in einem offenen Brief an H.W.Geissendörfer einen Drehbuchänderungswunsch an:

Sehr geehrter Herr Geissendörfer,

(..) Mit wachsender Ungeduld verfolgen wir Woche für Woche das Schicksal von Dr.Dressler. Wir freuten uns natürlich, als zur Lindenstraßenfamilie ein Rollstuhlfahrer stieß und daß dieser nicht abgeschoben, sondern daß seine Wohnung rollstuhlgerecht umgebaut wurde. Wir akzeptierten auch, vielleicht nicht mit Sympathie, aber doch mit solidarischem Verständnis, seinen Wandel von einem etwas wehleidigen Krüppel zu einem miesen Ekel. Aber nun, finden wir, ist es an der Zeit für einen weiteren Wandel des Dr.Dressler. Dieser muß sich nun endlich emanzipieren und ein positives Verhältnis zu seiner Behinderung bekommen!

Wir schlagen daher folgendes Szenarium für die nächsten Monate vor: Benny bekommt von einem behinderten Mitkämpfer bei Robin Wood zufällig ein Exemplar der emanzipatorischen Behindertenzeitung 'Randschau‘ und gibt diese über Frau Dressler heimlich an Dr.Dressler weiter. Dieser wird dadurch veranlaßt, häufiger selbständig das Haus zu verlassen, Vergnügen zu suchen und gründlich über sein zukünftiges Leben nachzudenken. Er bemüht sich um eine erneute berufliche Tätigkeit als Arzt, was an den Vorurteilen der Patienten und an den Steinen, die im Ärztekammer und Behörden in den Weg legen, scheitert. Dabei lernt er aber eine Rollstuhlfahrerin kennen, die, wie es der Zufall so will, in einer Behinderteninitiative mitarbeitet. Sie überredet Dr.Dressler, dort ebenfals mitzumachen und zusammen eine Beratungsstelle für Behinderte aufzubauen. Dadurch bekommt er wieder Lebensmut und Selbstvertrauen, er bittet seine Frau, gemeinsam mit ihm in den Urlaub zu fahren. Es kommt zwischen ihnen zu intensiven Zärtlichkeiten, und beide beschließen, die Schwierigkeiten der Vergangenheit zu vergessen und wieder zusammenzuleben.

Wir finden, daß die Darstellung des rollstuhlfahrenden Dr.Dressler auch in einzelnen Details ziemlich daneben liegt: So wie er in seinem Rollstuhl sitzt, oder besser hängt, wird kein Gelähmter aus dem Reha-Krankenhaus entlassen. Oder warum muß er sich rasieren und waschen lassen? Er hat doch zwei gesunde Arme.

Daher: die Rolle des Behinderten in der Lindenstraße ist reif für eine „Wende“!

Aktion Autonom Leben

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