: Stasi-Ohr im Bonn-Berliner Fernsprechverkehr
Bonner Staatssekretär bestätigt lückenlose Überwachung der Telefon-Richtfunkstrecken nach West-Berlin / Dauert der Lauschangriff noch immer an? / Hirsch: „Auch unsere westlichen Freunde hören mit“ / Angeblich 3.000 Stasi-Mitarbeiter bei der Abhöraktion eingesetzt ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) - Der Staatssicherheitsdienst der DDR hat den Telefonverkehr zwischen Bonner Ministerien, nachgeordneten Behörden und dem Bundeskanzleramt mit Westberliner Stellen jahrelang abgehört und mitgeschnitten. Die für die Auslandsspionage zuständige „Hauptverwaltung Aufklärung“ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) ließ auch innerhalb der Bundesrepublik lauschen - selbst der Telefonverkehr in der Bonner Hauptstadt soll von DDR-Spezialisten angezapft worden sein. Entsprechende Berichte des 'Spiegel‘ und des Kölner 'Express‘ wurden am Wochenende von Innenstaatssekretär Hans Neusel weitgehendend bestätigt. Neusel vertrat weiter die Ansicht, daß sich an diesen Abhörpraktiken auch unter der Regierung von Ministerpräsident Modrow nichts geändert habe - trotz zwischenzeitlicher Auflösung des MfS.
Bemerkenswert ist weniger die Tatsache als vielmehr die Perfektion, mit der der Fernsprechverkehr überwacht wurde. In einem streng vertraulichen Bericht der Bundesregierung soll die Zahl der eingesetzten Stasi-Mitarbeiter mit mehr als 3.000 angegeben sein. Mit großem Aufwand wurden vor allem die Richtfunkstrecken abgehört, die sich technisch kaum gegen Lauschangriffe sichern lassen.
Alle „politisch interessanten“ Telefonnummern sollen dafür in einem Großcomputer gespeichert worden sein. Werde eine solche Nummer über Richtfunk angewählt, setzten die mit Spezialantennen aufgefangenen Wählimpulse automatisch die Tonbandgeräte in Gang. Insbesondere die Richtfunkstrecke der Bundespost zwischen dem Brocken im Harz und West-Berlin soll auf diese Weise vollautomatisch überwacht worden sein. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Burkhard Hirsch, forderte inzwischen Kanzler Kohl auf, bei seinem Treffen mit Ministerpräsident Modrow Mitte Februar ein Ende dieser Praxis einzuklagen. Dankenswerterweise räumte Hirsch aber auch ein, daß nicht nur die DDR die bundesdeutschen Richtfunkstrecken abhört. Mit deutlichem Fingerzeig in Richtung USA erklärte er: „Auch unsere westlichen Freunde hören mit.“
Die Kölner Verfassungschützer haben nach den Worten des früheren Präsidenten Hellenbroich die Bundesregierung schon früher vor den Abhörversuchen der DDR gewarnt. „Meine Kollegen und ich sind bei den zahllosen Konferenzen mit der Bundesregierung und der Ministerialbürokratie nicht müde geworden, auf die Risiken des Richtfunks aufmerksam zu machen.“ Geblieben sei der Eindruck, „daß unsere Warnungen als übertrieben angesehen wurden“. Es sei aber „einfach unmöglich“, den Richtfunk gegen Lauscher zu sichern, sagte Hellenbroich weiter. „Wir haben deshalb damals schon auf äußerste Disziplin bei den Telefonaten gedrungen.“
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