Die Lage war noch nie so hoffnungslos

■ Wie der Bildungssenator Franke den Rostocker SchülerInnen, die die Schule am Waller Ring zum Austausch eingeladen hatte, DDR-Stolz predigte

Im Dezember kam in der Erweiterten Oberschule (EOS) Ernst Thälmann in Rostock der Brief des Sek.II Zentrums Waller Ring an. Die Bremer luden Rostocker SchülerInnen zu ihren Projekttagen in der letzten Januarwoche ein, und zum Schüleraustausch. Gestern, keine 4 Wochen später, standen 24 Rostocker blitzneugierige EOS-SchülerInnen unter den Lüstern des Kaminsaales im Rathaus. Einen Projektmorgen und 1000undeine Frage der BremerInnen hatten sie hinter sich. Eine Rostockerin: „Die wollen alles ganz genau wissen.“ Und, ihr sei „fast der Unterkiefer runtergeklappt“, angesichts des Schüler-Lehrer-Tons, wo eine Schülerin zum Lehrer sagen könne: „Bringen Sie mir mal den Kuchen mit rüber!“

Nun also Empfang mit Orangensaft und dem am letzten Tag amtierenden Bildungssenator Horst-Werner Franke. Nach Jahrzehnten, in denen nur RentnerInnen oder Republikflüchtige das postfaschistische Sündenbabel im Westen erreichten, (welch letztere, wenn erwischt, im Knast landeten), nun das erstemal die Chance, selber zu kucken. Denen sagte der Senator als Willkomm „das Persönliche, was ich angesichts der Entwicklung in ihrer Region empfinde“. Nämlich: „Ich glaube, daß wir in einer schwierigen, fast hoffnungslosen

Situation sind.“ Wenn angesichts all der Befreiungen in Osteuropa „nichts, nichts mehr trägt an verläßlichen Vertragspartnerschaften, wenn in der UdSSR Bürgerkrieg ist, darüber kann man nicht jauchzen.“ „Beharrlichkeit und kontinuierliche Übergänge müssen in die ganze Entwicklung hinein“. Angesichts des Deutschland, einig Vaterland aus J.R. Bechers DDR-Hymne „bitte ich Sie, die Jungen, nicht nur mit Emotionen und nicht mit der Ausschaltung kühler ratio“ zu reagieren. Sie sind kein Vorstadium der Bundesrepublik. „Es gibt eine ganze Menge in dieser Gesellschaft, vor dem man Angst haben muß.“

Der erste amtierende BRD-Minister, den die Rostocker SchülerInnen leibhaftig trafen, trat ihnen mit einer BRD -Huhu-und DDR-Durchhalte-Propaganda entgegen, mit der der DDR-Machtapparat inclusive LehrerInnenschaft ihrer eingemauerten Bevölkerung das Bleiben so eindringlich versüßt hatten. Daß dies aus seinem Munde „merkwürdig“ sei, konstatierte Franke kurz, um die SchülerInnen, die ein „ganz eigenständiger Staat“ seien, fortredend „wirklich zu bitten, daß Sie auf solche Distanzen zu diesem bundesrepublikanischen Staat achten“. Sie sollten sich nicht seinen „Überwältigungsstrategien„ausliefern und

alles, was sie in den nächsten Tagen sähen, seien nur Angebote an die zwei Drittel der Gesellschaft, das leerausgehende Drittel im Dunkel sähe man nicht. 700 Mrd. Vorteil habe die BRD aus der DDR gezogen, so daß die DDR „einen Rechtsanspruch“ auf Hilfe habe. Weshalb der Senator mit dem Satze schloß: „Es gibt keinen Grund, warum nicht Bürger der DDR sehr stolz auf die

Entwicklung ihres Landes sein sollten.“

„Eine Frechheit!“ wütete neben mir die Waller Schülerin Cordula: „Das ist doch genauso, als ob er sagt: Macht die Grenze mal wieder zu und schickt die mal wieder nach drüben!“ Für die Lehrerin vor mir war Frankes Rede „ein richtiger Skandal. Es geht doch um die Jugend. Er hätte doch reden müssen, was von der ausge

hen kann.“ Danach freute sich der Direktor des Waller Rings über das „Wunder“ dieses Austausches, dessen Realisierung binnen 14 Tagen die „wache Bereitschaft Bremer Lehrer“ ermöglicht habe.

Angesichts der Unruhe, die sich während seiner Rede aufgestaut hatte, stellte sich der an sich gehwillige Senator für „ungenierte Fragen“ bereit. Wie das

mit dem Stolz gemeint sei, fragte eine Rostockerin, und Franke lobte in die steigende Unruhe hinein das DDR -Gesundheitssystem, das - im Prinzip - nicht wie das der BRD für die Reichen und Schickimickys sondern für alle da sei.

Plötzlich steht ein Waller Schüler neben dem Senator: „Worauf wir stolz sind, ist, daß unsere Schule, die gerade der Schließung entkommen ist , gezeigt hat, daß sie noch ganz schön was auf die Beine stellen kann!“ Jubel. Der Senator hat „nie verhohlen,“ -HA-HA-HA macht Cordula, brausendes Gelächter - „daß Ihr eine vorzügliche Schule seid.“

Jetzt kommt der Thälmannschuldirektor Geschwend zu Wort. „Dies zu erleben ist ein erhebender Augenblick.“ Man könne auf einmal tun, wozu man 40 Jahre nicht in der Lage war, die Waller eher, sie im Herbst.

Der Widerstand der Waller habe ihre Schule gegen sein obrigkeitliches Handeln erhalten, verklickert der Senator den Rostockern und folgert „wie es auch bei Ihnen zugehen muß: Gegen Obrigkeit permanent mißtrauisch sein.“ Und im Gehen zu Cordula: „Damit mußt Du doch auch einverstanden sein.“ Cordula: „Aber nicht, wenn Sie das den Leuten erzählen, die das grade permanent tun.“

Uta Stolle