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Eine vertane Chance

■ Die Filmemacherin Helma Sanders-Brahms kritisiert das Berlinale-Programm

Die Regisseurin Helma Sanders-Brahms geht mit dem diesjährigen Berlinale-Wettbewerbsprogramm hart ins Gericht. In einem Interview mit dem 'Corriere della Sera‘ kritisiert sie, daß die Auswahl nach „ausschließlich kommerziellen Gesichtspunkten“ erfolgt sei: die interessanten Filme fänden sich in den Beiprogrammen. Das Interview war nicht autorisiert, als Mitglied der Auswahlkommission darf die Filmemacherin sich nicht öffentlich zum Programm äußern. Dennoch hat Sanders-Brahms die Veröffentlichung, die sie bedauert, nun zum Anlaß genommen, aus der Kommission auszutreten. Ihre Gründe erläutert sie in einem Brief an Festival-Chef Moritz de Hadeln: „Tatsächlich habe ich Probleme mit der Auswahl dieses Jahres, insbesondere mit dem Eröffnungsfilm (Steel Magnolias von Herbert Ross), aber auch mit der Tatsache, daß das Festival auf die Ereignisse vom November '89 nicht wirklich reagiert. Darüber hinaus habe ich im Jahre '89 im Kulturbeirat der Europa-Kommission als Vizepräsidentin der Gruppe Film/Fernsehen für den europäischen Film und für den Autorenfilm gekämpft. Ich hätte mir deshalb eine größere Anzahl von europäischen Filmen im Festival gewünscht, die, wie ich denke, auch möglich gewesen wäre, hätten wir nicht ein Drittel aus US -Großproduktionen...“

Im Gespräch mit der taz bedauert die Regisseurin außerdem, daß der Auswahl viele „fade Kompromisse“ zugrunde liegen, daß der bundesdeutsche Film „ein schwaches Jahr hat“ und daß voraussichtlich keine Frau im Wettbewerb vertreten sein wird. Es sei denn, die sowjetische Regisseurin Kira Moratowa kann ihren Film doch noch aufs Festival bringen. Vor allem aber: „Man hätte der historischen Dimension dieses Festivals entsprechen müssen: 40 Jahre Berlinale und das kurz nach der Öffnung der Mauer - darauf hätte man reagieren müssen.“ Schon im dritten Jahr sei das Festival von US-Produktionen dominiert. „Das konnte ich im vorigen Jahr noch mittragen, weil ich die Filme schön fand: Rain Man, Another Woman von Woody Allen und Gefährliche Liebschaften. Dieses Jahr hätte man auf die Ereignisse in Ost-Europa besser und stärker eingehen müssen.“ Es hätte bei den zur Auswahl stehenden Filmen durchaus Möglichkeiten der Reaktion gegeben. Aber sie wolle keine Titel nennen. Das Argument mit dem Starrummel, den doch die Öffentlichkeit wolle, läßt sie nicht gelten. „Berlin als Schnittpunkt zwischen Ost und West: genau das erwartet diesmal doch die internationale Presse.“

chp

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