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Radikale Linke-Betr.: "Linksradikal contra deutschnational", taz vom 23.1.90 und "Gegen die rotgrüne Modernisierung des Kapitalismus", taz vom 23.1.90

betr.: „Linksradikal contra deutschnational“,

taz vom 23.1.90

Die Neigung zu „linksradikaler“ Rhetorik war in Deutschland schon immer stärker ausgeprägt als die Fähigkeit zu linker, also radikaler Politik. Allein die Selbstbezeichnung „Radikale Linke“ oder „linksradikal“ ist ein tautologischer Unsinn; hier wird wieder einmal viel versprochen und wenig gehalten.

Dieser Ausdruck suggeriert auch das Gegenbild des „Rechtsradikalen“, wobei die Rechten noch nie radikal waren. Sie waren immer „nur faschistisch“, das heißt staatsterroristisch. Die Linken in der Bundesrepublik, also diejenigen, die von Aufklärung, humaner Toleranz und revolutionärer Demokratie herkommen und an deren Zielsetzung menschlich-menschheitlicher Emanzipation festhalten, sollten bei allem Widerstand vor allem ihrer eigenen fatalen „Begabung“ widerstehen, sich selbst ständig zur politischen Sekte zu degradieren.

Der Hang zum verbalen Radikalismus ist nichts anderes als der Abhang und Abgang ins als Wollust empfundene Jammertal. Es ist und bleibt die Hauptaufgabe der Linken in der Bundesrepublik (und anderswo), eine radikale, den Verhältnissen auf den Grund gehende und sie ändernde gesellschaftliche Gegenmacht aufzubauen. Nichts berechtigt dazu, den mit den Grünen vor zehn Jahren begonnenen Versuch, eine solche pluralistisch strukturierte ökologische, soziale, feministische und pazifistische Gegenmacht zu organisieren, heute und damit vorzeitig abzubrechen.

Karl Marx hatte schwere Differenzen mit Ferdinand Lassalle und der späteren Bebel-SPD. Das hinderte Marx aber nicht, anzuerkennen, daß es Lassalle war, dem der erste Versuch einer Massenorganisation der deutschen Arbeiter gelang. Linke Kritik darf niemals zu linker Sektiererei verkommen! Linke Kritik muß massenorientiert bleiben, will sie massenemanzipatorisch wirken!

Michael D.Düllmann, Bonn

(...) Mir ist aufgefallen, wie wenig dort eine Beschäftigung mit den von der Wiedervereinigungsfrage Betroffenen (Zonis) sichtbar wurde. Kann sich eine antiimperialistische Politik jemals durchsetzen, wenn wir nicht auch die berechtigten Verärgerungen der DDRlerInnen wahrnehmen? Wenn man gegen die Wiedervereinigung ist, muß man sich auch damit befassen, daß für viele Menschen dieser Begriff bedeutet:

1. Aufhebung menschentrennender und damit für mich als linken Menschen zu verurteilender Grenzen,

2. radikaler Strich unter ein System, in dem das Individuum dazu gedrängt wurde, sich in eine restriktiv geführte Staatswirtschaft einzuordnen,

3. Verbesserung der Lebensqualität.

Wir dürfen nicht nur den Deutschnationalismus ablehnen, sondern müssen sehen, daß diese Punkte der emotionale Hintergrund für den aktuellen „Deutschlandtaumel“ sind. Wenn unser oberstes Ziel in dieser Lage ist, den ostdeutschen Raum vor dem Kapitalimperialismus zu schützen, dürfen wir nicht nur sagen: „Deutschland nein!“ Wir müssen Lösungen für die oben genannten Probleme bieten.

Christoph Hild, Überlingen

betr.: „Gegen die rotgrüne Modernisierung des Kapitalismus“, taz vom 23.1.90

Es ist schon putzig: Die politische Entwicklung der Grünen sei „die bedeutendste Integrationsleistung dieses Staates“, behaupten Ebermann/Trampert also laut taz. Wenn's denn stimmt, kann man nur den Kopf schütteln ob solcher Geschichtsbewußtlosigkeit.

Schon vergessen, daß das Kapital - zwecks Integration einer ganzen Protestgeneration, deren Rebellion dem System durchaus hätte gefährlich werden können - vor knapp 20 Jahren kurzerhand seine christlich unsozialen Zuchtmeister in den einstweiligen Ruhestand schickte? „Laßt mal den Willi machen“, hieß statt dessen die Parole. Und der machte. Mit verzeihendem, mildem Vaterlächeln und weit ausgebreiteten Armen trat er an die Rampe und rief den ungezogenen Kindern zu, man solle doch zusammen „mehr Demokratie wagen!“ Mann und Frau wagte und - verlor.

Was Wunder. Genau dies war schließlich Willis einziger Auftrag gewesen: Integration der Rebellierenden wo möglich, im anderen Fall Ausgrenzung und Bekämpfung (Radikalenerlaß). Und so schlang denn diese Mischung aus Woodstock-Modrow und Eiserner SPD-Jungfrau gerührt die Arme um die vielen bußfertig an seine Zweiseelenbrust Eilenden. Es lag in der Natur der Sache, daß dabei rund 80 Prozent der damaligen Apo erdrückt wurden. Vor allem an einer bestimmten Stelle, dort, wo das Rückgrat verläuft.

Jahre später saßen diese Zurechtgedrückten als frustrierte Enkel herum und gaben sich alle Mühe, die seinerzeitige Zwangsadoption vor sich und der Welt nachträglich zu rechtfertigen. Indem sie nun ihrerseits das Spiel mit einer neuen und wiederum - für die markanten herrschenden Köpfe nicht ganz ungefährlichen Protestströmung wiederholten. Der Rest ist bekannt. Die Guten ins Diätentöpfchen und für die Schlechten Knüppel aus dem Sack. Apropos: Die restlichen 20 Prozent der 68er Apo sitzen heute natürlich auch. Der größere Teil auf gutbezahlten Uni-, Medien- oder Industriestühlen, der kleinere etwas mehr stammheimlich und vergessen - so er nicht gerade hungert. Das macht: Letztere waren die Schlechten von damals.

Aber - ist das alles nicht zuviel der Unehre für Willi und Company? Richtig, denn von den Tramperts, Ebermännern, radikal- und sonstigen Linken im Lande wird immer allzu gern etwas übersehen: Wer Drogen bekämpfen will, sollte selbst nicht süchtig sein, was meint: Alternative Vehaltens- und Lebensweisen propagieren, selbst aber ein Paradebeispiel liefern für Machtgeilheit, Frauenfeindlichkeit, Unsolidarität und - bei vielen! - last not least Konsumdenken.

Zum freiwilligen Erdrücktwerden gehören zwei. Das war 1968 ff so und wird immer so bleiben. Korruption beginnt eben nicht erst beim berühmtberüchtigten weißen Umschlag. Wer beispielsweise „Rotation“ schreit, sich selbst aber für unersetzlich hält, ist bereits korrumpiert. Machtlüsternheit ist lediglich die andere Seite der partriarchalisch -kapitalistischen Medaille (Profitgeilheit die eine). Und solange Linke in diesem Lande nicht anfangen, Alternativen vorzuleben - von öffentlicher Streitkultur bis zum Umgang mit Mitmenschen - wird anderen allemal „Marlboro, VW-Golf und Videorekorder“ als erstrebenswerterer Inbegriff von Freiheit erscheinen. (...)

Werner Schlegel, Essen

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