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PHARMAKRATIE

 ■  „Im Namen der Droge“ - Das Mittelalter ist wieder aktuell

Im Jahr 1971 erklärt Präsident Nixon Drogen zu „Amerikas öffentlichem Feind Nr.1“ und fordert eine Sonderaktion. Mit 366 zu null Stimmen bewilligt der Kongreß für einen dreijährigen Drogenfeldzug eine Milliarde Dollar. Trotzdem steigt der Verbrauch stark an, 1972 schätzte man, daß in den USA eine Million Menschen regelmäßig Kokain und 520.000 Heroin nahmen, die Zahl der Marihuana-Raucher liegt bei vier Millionen. Zehn Jahre und etliche Feldzug-Millionen später erklärt Präsident Reagan seinen „War on drugs„; es folgt ein erneut milliardenschwerer Polizei- und Propaganda-Einsatz. 1986 schätzt eine Regierungskommission die regelmäßigen Konsumenten von Marihuana auf 20 Millionen und die von Kokain auf 5 bis 6 Millionen; die Zahl der Heroin-Benutzer blieb mit 600.000 konstant - Reagan erklärt Drogen zum „Staatsfeind Nr.1“. Sein Nachfolger Bush - ehemals Direktor und Anteilseigner des Pharma-Konzerns Eli Lilly - übernimmt die Formulierung und intensiviert die Kampagne, der bis vor kurzem auf der Gehaltsliste des Weißen Hauses stehende Drogenhändler Noriega wird spektakulär (Zivilschaden: 2 Milliarden Dollar) verhaftet. Letzte Woche gab Bush den Inhalt der Drogenkriegskasse für 1991 bekannt: 10,6 Milliarden Dollar.

Für moralische Anti-Sucht-Kampagnen zur Stärkung staatlicher Autorität hat Amerika in diesem Jahrhundert mittlerweile mehr Geld ausgegeben als für den Zweiten Weltkrieg - und konsumiert heute mit 5 % der Weltbevölkerung über 50% aller illegalen Drogen. Tendenz: steigend. Nach einem halben Jahrhundert Drogenbekämpfung mit dem Instrumentarium der Prohibition und Repression wäre ein Eintrag des Drogenkriegs ins Guiness Book of Records als gigantischste Fehlinvestition des Jahrhunderts unvermeidlich, würde nicht dieser Puritanische Heilige Krieg weiterhin mit so ayatollahmäßigem Ernst geführt, daß die Redaktion fortan ein Dasein a la Rushdie fürchten müßte. Schon hat der Drogen-Koordinator der US-Regierung Bennett gefordert, Rauschgifthändler auf den elektrischen Stuhl zu schicken, auch wenn ihnen gar kein Mord nachzuweisen ist; in der Bundesrepublik soll nach dem Willen der Kohl-Regierung gegen „Drogentäter“ künftig ohne irgendeinen Tatverdacht schon auf bloße Vermutung hin polizeilich ermittelt werden dürfen - was den Drogenkrieg betrifft, sind die modernen Rechtsstaaten mittlerweile auf dem Niveau der mittelalterlichen Inquisition angelangt.

Das ist kein Zufall. Schon immer hatte die Priester- und Herrscherkaste dem gewöhnlichen Bürger den Zugang zu bestimmten Substanzen verboten. Irgendwann im Mittelalter begann man, dieses Verbot durch ein Monopol zu regeln, das den freien Zugang auf Apotheker und Ärzte beschränkte. Von diesem Zeitpunkt an spätestens erfüllte die Medizin zwei soziale Aufgaben: das Heilen und das Herrschen, das Lindern von Krankheiten und die Kontrolle von Abweichungen, letzteres vor allem durch die Kontrolle „gefährlicher“ Drogen und „gefährlicher“ psychiatrischer Patienten. Michel Foucault und andere haben die Rolle beschrieben, die die Fabrikation des Wahnsinns für die Etablierung der Aufklärung spielte, vergleichbare Studien über die Funktion der Drogenkontrolle gibt es meines Wissens nicht. Der zunehmende Rückgriff auf die Methoden der Heiligen Inquisiton im aktuellen Drogenkrieg deutet jedoch an, daß die Unterdrückung der Drogenkonsumenten für die Autorität der Industriestaaten so konstitutiv ist, wie es die Ausgrenzung und Einschließung der „Irren“ für die Machtergreifung der „Vernunft“ war. Auf die Forderung nach sofortiger Aufhebung der Drogen-Verbote, die allein für die wachsende „Sozialschädlichkeit“ des Drogenproblems verantwortlich sind, können deshalb die heutigen Repräsentanten der Autorität nur reagieren wie ein Bischof des 13. Jahrhunderts, von dem man die Einführung der praktischen Sexualkunde an Kloster-Schulen verlangt: mit einem Tobsuchtsanfall und der Anweisung, das „Übel“ ab sofort mit noch strengeren Strafen zu ahnden.

Es wird einem Umberto Eco des 3. Jahrtausends vorbehalten bleiben, die lächerlichen, gleichwohl menschenvernichtenden Dispute der Dogmatiker „Im Namen der Droge“ zu inszenieren uns bleibt, außer realpolitischer Kosmetik am Rollback ins Mittelalter, nur die Forderung nach einem unveräußerlichen Menschenrecht: der freien Wahl der Genuß- und Rauschmittel und der Pflicht der Staaten, die Versorgung zu gewährleisten und den Menschen den verantwortlichen Umgang mit diesen Mitteln zu lehren. Statt ihnen einprügelnd vorzubeten, daß es sich bei Tabak und Alkohol um „landwirtschaftliche Produkte“ und bei Hanf und Opium um „gefährliches Rauschgift“ handelt...

Mathias Bröckers

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