piwik no script img

Das Öko-Desaster auf dem runden Tisch

■ DDR-Umweltminister Diederich will „Auslaufstrategie“ für AKW Greifswald / Minister und SED-PDS verkünden unisono die Umweltwende in der DDR / Neues Forum: Uranabraum auf dem Schulhof gelagert / Einsparungen beim Militär sollen der Umwelt zugute kommen

Berlin (taz/dpa/ap) - Aus der ökologischen Krisenregion DDR wird in wenigen Jahren ein blühendes Biotop. Das jedenfalls versprachen gestern unisono der DDR-Umweltminister Peter Diederich (Bauernpartei) vor dem runden Tisch in Ost-Berlin und die für die katastrophale Umweltsituation verantwortliche SED-PDS in einem Diskussionspapier mit dem Titel Für eine lebenswerte Umwelt.

Vor dem runden Tisch versprach der erst vor zwei Wochen ins Amt gehievte Minister, seine Behörde werde sich künftig von jeder Beeinflussung durch die Wirtschaft freimachen und sich zu einer Umweltbehörde mit Vetorecht entwickeln. Statt bloßer Umweltreparatur verlangte Diederich die Einführung des Vorsorge- und Vermeidungsprinzips in der Umweltpolitik und kündigte staatliche Rahmenvorgaben für zulässige Schadstoffemissionen in die Luft, das Wasser und den Boden an. Außerdem müsse die DDR sich einer abfallarmen Produktionstechnik und dem Ersatz umweltschädigender Stoffe zuwenden. Die Braunkohleförderung werde radikal heruntergefahren, die DDR müsse statt dessen Steinkohle, Erdöl und Erdgas stärker zum Einsatz bringen und die subventionierten Energiepreise anheben.

Die fünf Blöcke der schrottreifen Atomzentrale Greifswald will der Umweltminister jedoch nicht sofort stillegen. Für die vier seit mehr als zehn Jahren betriebenen Blöcke gehe es nun um eine gezielte Auslaufstrategie, hieß es. Weiter wurde bekannt, daß eine Sanierung der Pannenreaktoren mehr Mittel verschlingen würde als ein Neubau. Die Bundestagsfraktion der Grünen, die Alternative Liste Berlin und die neue Grüne Partei der DDR forderten unterdessen in einer gestern verbreiteten gemeinsamen Erklärung die sofortige Stillegung aller Atomkraftwerke in der DDR. Als Sofortmaßnahmen zur Sicherstellung der Stromversorgung schlugen sie Stromimporte aus Kohlekraftwerken der Bundesrepublik, West-Berlins und Österreichs vor.

Diederich betonte vor dem runden Tisch, das Überflugverbot über den nicht gegen Flugzeugabstürze gesicherten Atomreaktoren in Greifswald sei seit seinem Inkraftreten 1986 nur einmal durchbrochen worden. Der Pilot habe sich „entsprechenden Erziehungsmaßnahmen“ unterziehen müssen.

Der Vertreter des Neuen Forums am runden Tisch und Energieexperte Sebastian Pflugbeil wies darauf hin, daß niemand wisse, wo in der DDR überall radioaktives Material abgekippt worden sei. So sei ihm bekannt, daß sogar auf einem Schulhof Uranabraum gelagert und lediglich mit einer 20 Zentimeter dicken Betondecke abgedeckt worden sei.

Wie Diederich drückt sich auch die SED-PDS in ihrem im 'Neuen Deutschland‘ veröffentlichten Umweltpapier um eine klare Stellungnahme zur Zukunft der Atomenergie in der DDR herum. Dazu heißt es lediglich: „Wir fordern den öffentlichen Streit über den Einsatz von Kernenergie!“ In dem Diskussionspapier werden die Abkehr von der „bisherigen umweltignoranten Wirtschaftspolitik“ und eine „ökologische Sicherheitspartnerschaft in Europa“ gefordert. Für eine neue, demokratische Weltwirtschaftsordnung und die internationale ökologische Sicherheit müßten die Armeen in beiden deutschen Staaten bis 1991 um 50 Prozent verringert und alle Atom- und Chemiewaffen von deutschem Boden entfernt werden, heißt es in dem Diskussionspapier. Die in den Rüstungsetats eingesparten Mittel sollen einem gemeinsamen Ökologiefonds zugeführt werden.

Passagenweise lesen sich die Vorschläge der SED-PDS wie die Umbauprogramme der westdeutschen Grünen. So sollen hohe Umweltsteuern, das Verursacherprinzip und eine drastische Senkung des Energie-, Rohstoff- und Wasserverbrauchs der DDR ökologisch auf die Beine helfen. Die Schadstoffemissionen aus den Kraftwerkskaminen müßten radikal gesenkt werden. Außerdem fordert die SED-PDS die Sanierung der Altstädte und „autoarme Innenstädte“.

Was die alte SED der DDR-Bevölkerung hinterlassen hat, konnten die TeilnehmerInnen des runden Tisches einem anderen, dort von der SED-PDS vorgelegten Papier entnehmen: Eine jährliche Staubbelastung von 2,2 Millionen Tonnen (gegenüber 0,56 Millionen in der BRD) und eine Schwefeldioxidbelastung von 320 Kilogramm pro Kopf und Jahr (Gegenüber 203 in der CSSR, 115 in Polen und 40 in der BRD). Der Wald in der DDR ist zu 44,4 Prozent geschädigt, aus drei Prozent der Flüsse kann man noch trinken, zehn Prozent der Bevölkerung bekommt Wasser, das über die zulässigen Grenzwerte verschmutzt ist.

gero

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen