Einerseits dafür, andererseits abwarten

Kontroverse Diskussion um Berliner Direktwahl in der AL / Fraktion ist dafür, Delegiertenrat dagegen / Die taz sprach mit dem AL-Abgeordneten Statz über das Wahlrecht und die deutsch-deutschen Fragen  ■ I N T E R V I E W

taz: Wie verhält sich die Fraktion der AL zum direkten Wahlrecht für den Bundestag?

Albert Statz:Wir sind für diese Wahl, das Problem liegt aber darin, daß diese Sache im Moment isoliert gemacht wird, ungeachtet der Frage des Stimmrechts. Das Stimmrecht unterliegt dem Veto der vier Mächte und berührt den Status von Berlin.

Besteht bei Euch nicht die Angst, die AL-Position der Zweistaatlichkeit langfristig aufzugeben?

Ja. Über das Stimmrecht und die Gleichberechtigung als elftes Bundesland könnte die Hauptstadtfunktion für ganz Berlin vorbereitet werden. Dagegen haben wir etwas, weil die Vorstellung eines neuen deutschen Zentralstaates von niemand in der AL geteilt wird. Aus demokratischen Gründen sind wir für die Stärkung der demokratischen Rechte, und dazu gehören auch die direkten Wahlen. Andererseits geht das aber nur eingebettet in eine Diskussion darüber, welche Rolle beide Teile Berlins spielen sollen. Es steht zu erwarten, daß die deutsch-deutsche Euphorie in der jetzigen Form nicht weiterbestehen wird, denn spätestestens im Herbst wird die DDR sich in einer sehr labilen Lage befinden.

Aber gerade dann steht doch zu befürchten, daß die Rufe nach Wiedervereinigung, die im Moment die einfachste Lösung für viele zu sein scheint, noch lauter werden.

Ich halte diesen Glauben für eine sehr gefährliche Illusion, denn die Menschen werden merken, daß der Ruf nach Wiedervereinigung ihre materielle Lage nicht verbessert. Wenn dann aus Enttäuschung die Flucht nach vorn in Richtung Wiedervereinigung und nationaler Identifikation angetreten wird, dann wird die Situation tatsächlich gefährlich.

Wie wird sich die AL dann verhalten?

Wir werden nüchtern unseren Standpunkt vertreten, daß die unterschiedliche Lage in beiden deutschen Staaten ein zu schnelles Zusammenwachsen überhaupt nicht möglich macht. Wir wollen weiterhin die deutsch-deutschen Fragen in den europäischen Zusammenhang einbetten. D.h. konkret, wir wollen eine KSZE-Sonderkonferenz, die sich mit deutsch -deutschen Fragen beschäftigt, mit der Grenzziehung und auch mit dem Status von Berlin und dem Wahlrecht. Man kann die deutsche Frage nicht einfach den Deutschen überlassen, deswegen stellen wir uns einen europäischen Sicherheitsrat eventuell in Berlin - vor, der Einfluß nimmt auf die deutsche Frage.

Mit ihrer Forderung nach Zweistaatlichkeit ist die AL doch mittlerweile ziemlich isoliert - wenn sogar DDR -Oppositionsgruppen wie das Neue Forum für Wiedervereinigung sind.

Das ist sicherlich sehr schwierig. Wir sind damit in der Minderheit, aber auch nicht ganz so alleine, wie es auf den ersten Blick aussieht.

Wenn es zum Wahlrecht für Berlin kommt, muß die AL nach dem Wahlgesetz Landesverband der Grünen werden: Wird es eine Namensänderung geben?

Wir haben in der AL immer Schwierigkeiten damit gehabt, weil wir uns für etwas besonderes gehalten haben - das muß man selbstironisch so sagen. Ich denke, daß wir in Richtung grüner Landesverband gehen werden und daß wir auch in diesem Rahmen relativ viel Eigenständigkeit haben werden. Wir müssen uns dann überlegen, wie wir die Probleme der Parteienfinanzierung lösen und welchen Namen wir uns geben. Ich glaube, das kann alles pragmatisch gelöst werden. Ich sehe kein so großes Konfliktpotential auf die AL zukommen.

Wie schätzt man in der AL die Haltung der Alliierten ein?

Es war ein Fehler des Senats, in der letzten Woche zu sagen, daß die Sowjetunion mit dieser Frage nichts zu tun hat. Wir brauchen Gespräche, die ein neues Viermächteabkommmen und die Europäisierung des Status von Berlin zum Inhalt haben. Wir führen Gespräche mit ihnen...

Mit allen vieren?

Mit allen vieren, und die Besorgnis wächst dort, daß diese deutsche Frage eine Eigendynamik gewinnen wird, die eine europäische Lösung immer schwieriger macht.

Interview: Kordula Doerfler