Mexiko warnt EG

Umbruch in Osteuropa drängt Lateinamerika an den Rand  ■ Mit den Protektionismus-Ängsten auf Du und Du

London (ap/taz) - Der mexikanische Präsident Carlos Salinas, der gestern einen dreitägigen Aufenthalt in Großbritannien im Rahmen seiner Europa-Rundreise beendete und nach Bonn weiterreiste, hat die Europäische Gemeinschaft aufgefordert, sich nach Vollendung des Binnenmarktes 1993 nicht gegenüber anderen großen Märkten wie etwa Mexiko abzuschotten. „Mexiko hat eine strategische Position. Es ist ein großer Markt mit 85 Millionen Menschen, der an den größten Markt der Welt (die USA) grenzt und Zugang zu beiden Weltmeeren hat“, sagte Salinas in einem Interview der 'Financial Times‘. Mit diesem Hinweis machte Salinas darauf aufmerksam, daß Mexiko durchaus eine Drehscheibe für die überdurchschnittlich schnell wachsenden Märkte des Pazifischen Beckens bilden könnte.

Klappern gehört zum Handwerk. Deshalb versuchte Salinas auch ein recht rosiges Bild der mexikanischen Auslandsverschuldung von mehr als 100 Milliarden US-Dollar zu malen und insbesondere die im Zuge der Umsetzung des Brady-Plans in Gang gesetzte (minimale) Entschuldung hervorzuheben. Die Umschuldung der mexikanischen Außenstände im Juli vergangenen Jahres bedeutet Salinas zufolge „nicht nur die Einsparung nationaler Finanzreserven, sondern auch die Wiederherstellung des Vertrauens innerhalb der Bevölkerung“. Ebenso positiv beschrieb er die binnenökonomische Entwicklung, die vielversprechende Aussichten für die nächste Zukunft eröffne. So erinnerte Salinas daran'daß das Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr drei Prozent betragen habe und die Inflationsrate von 200 Prozent im Jahr 1987 auf 19 Prozent im vergangenen Jahr gesunken sei.

Alle diese wirtschaftspolitischen Fortschritte stoßen aber an die protektionistischen Schranken der Weltwirtschaft. Sein Land, so die Klage von Salinas, habe die tarifären Hindernisse beträchtlich abgebaut, während die Schranken in Europa und den USA weiterhin bestehen: „Die Gegenseitigkeit ist noch keine Realität.“ Mexiko werde jedoch alles versuchen, um Zugang zum europäischen Markt zu finden. Die mexikanisch-europäischen Wirtschaftsbeziehungen sind bislang nicht besonders stark ausgeprägt. Eine Ausnahme macht dabei allerdings Großbritannien. Die britischen Banken sind die drittgrößte Gläubigergruppe Mexikos. Im Zuge der Umschuldungs- und Entschuldungsoperationen haben sie eine nicht unbeträchtliche Kreditsumme abzuschreiben gehabt nicht unbedingt die gewünschte ökonomische Motivation, um das Mexiko-Geschäft auszuweiten. Großbritannien ist aber auch der fünftgrößte Handelspartner der mexikanischen Wirtschaft und der drittgrößte ausländische Investor des mittelamerikanischen Landes.

Besondere Besorgnisse äußerte der mexikanische Präsident im Zusammenhang mit den Umbruchprozessen in Osteuropa. Während seines Aufenthalts in Großbritannien hatte Salinas die EG davor gewarnt, sich nach den Reformen in Osteuropa ausschließlich diesen Ländern zuzuwenden und den südamerikanischen Kontinent zu vergessen. Diese Ängste scheinen mehr als berechtigt. So deutet etwa die von der Europäischen Gemeinschaft angestoßene Gründung einer Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung darauf hin, daß die staatlich mobilisierten Kredite in Zukunft nahezu ausschließlich in die osteuropäischen Ländern fließen werden. Allein das für diese Bank vorgesehene Grundkapital von 20 Milliarden DM könnte zukünftig eine Kreditmasse in Bewegung setzen, die die Summe früherer Kredite für Lateinamerika bei weitem übertrifft. Aber nicht allein den europäischen Regierungen sitzt das Hemd näher als der Rock. Auch die privaten Banken haben seit längerer Zeit den Kredithahn für Lateinamerika zugedreht. Düstere Zeiten für verschuldete Länder der Dritten Welt.

Zausel