: Indien und Pakistan im Zwist um Kaschmir
■ Der Konflikt um die geteilte Region schürt alte Spannungen / Sondersitzung des Parlaments in Islamabad / Indien bleibt bei Gebietsansprüchen
„Hände weg von Kaschmir“. Mit dieser Aufforderung an Pakistan titelte vergangene Woche der 'Hindu‘, eine sonst eher gemäßigte indische Tageszeitung. Am Montag beschloß das pakistanische Kabinett unter Leitung von Frau Nusrat Bhutto, der Mutter von Regierungschefin Benazir Bhutto, eine „Woche der Solidarität“ mit dem Volk von Kaschmir. Mit „Gebeten für die Märtyrer“ im Kampf gegen die indische Armee soll die Woche am Freitag beginnen. Für den 10.Februar wurde zudem eine außerordentliche Parlamentssitzung angesetzt, um einen „Nationalen Konsens“ zur Kaschmir-Frage zu erarbeiteen. Und gestern abend wandte sich der pakistanische Außenminister Jakub Khan an die Bevölkerung des islamischen Staates, die sich in mehreren Städten zu Solidaritätskundgebungen mit den Glaubensbrüdern im umstrittenen „Paradies“ des Subkontinents versammelt hatten.
Der zunehmend eskalierende Kaschmir-Konflikt rührt nicht nur an den Grundfesten der indischen Union, sondern auch am blutigen Teilungstrauma. Ein Jahr nach der Unabhängigkeit war 1948 unter der Vermittlung der Vereinten Nationen eine Waffenstillstandslinie vereinbart worden, die Kaschmir in einen indischen und einen pakistanischen Teil teilte. Nach Ansicht des früheren Außenministers Atal Behari Vajpayee haben die indo-pakistanischen Beziehungen einen neuen Tiefstand erreicht. Auf einer Kundgebung warnte er am Sonntag abend Pakistan davor, im Bundesstaat Jammu Kaschmir einen neuen Krieg anzuzetteln. Die Regierung in Neu Delhi wolle keinen Krieg, sollte er ihr aber aufgezwungen werden, so werde sie eine passende Antwort finden.
Auf die Unabhängigkeitsforderungen der Kaschmiris hat Neu Delhi mit dem Einsatz der Armee, einer Ausgangssperre und Pressezensur reagiert. Von den mehr als hundert Menschen, die hier seit Anfang des Jahres umkamen, wurden die meisten von indischen Soldaten und Polizisten erschossen. Selbst moderate Kreise in Neu Delhi scheinen inzwischen davon überzeugt, daß ein rigoroses Durchgreifen gegen die Sezessionisten unabdingbar ist, um die schon im Punjab und Bihar strapazierte territoriale Integrität zu wahren. Und diese Integrität werde Indien um jeden Preis verteidigen, so äußerte sich vergangene Woche jedenfalls der indische Außenminister Gujral gegenüber seinem pakistanischen Amtskollegen. Gerade ein Jahr haben die Flitterwochen zwischen Rajiv Gandhi und Benazir Bhutto gedauert. Ihre Eltern hatten 1972 das Simla-Abkommen unterzeichnet, das Indien und Pakistan verpflichtet, alle Konflikte friedlich und über den Weg des Dialogs beizulegen. Doch im Dezember mußte der Gandhi-Sohn seinem Nachfolger V.P.Singh die politische Bühne überlassen. Nun hat die Bhutto-Tochter alle Mühe, Frieden auch mit dem neuem Hindu-Premier zu wahren.
Mit 64,2 Prozent stellen die Moslems in Jammu-Kaschmir die Bevölkerungsmerheit doch erst die ökonomische Benachteiligung und Geringschätzung der Muslimpopulation durch die indische Zentralregierung haben die Ausschreitungen und Sezessionsbewegung auf die Spitze getrieben. Im Hause der Minderheitsregierung des V.P.Singh mögen die politischen Spannungen im Norden von anderen Wahlversprechen ablenken und die „Foreign Hand„-Theorie die ideologische Schablone dazu liefern. Pakistan dementiert zwar beharrlich, die Vorwürfe die militanten Sezessionisten zu unterstützen. Doch seit jeher unterstützt es einen Volksentscheid, bei dem sich die Kaschmiris, wenn nicht für die Unabhänigkeit, sicherlich für den Anschluß ans muslimische Pakistan entscheiden würden. Plausibel scheint allerdings, daß die seit dem Auslaufen des Afghanistankonflikts einfluß- und arbeitslos gewordenen Geheimdienstkreise auch hier wieder mitspielen. Mit fundamentalistischen Stömungen haben sie schon unter Zia-ul -Haq paktiert. Für Benazir Bhutto könnte ein erneuter militärischer Konflikt an den Landesgrenzen indes fatale Folgen zeitigen. Wie kann die Mutter eines Säuglings die Nation in einen heiligen Krieg führen?
Simone Lenz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen