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St.-Jürgen-Ausschuß: „Filz nur angekratzt“

■ Ausschußmitglieder über Bewertung und Konsequenzen von zwei Jahren Arbeit zerstritten / Brückner räumt Fehler ein

Der SPD-Fraktionsvorstand hat ihn bereits abgesegnet, in der SPD-Fraktionssitzung stand er gestern auf der Tagesordnung, der Senat diskutiert ihn noch. Nur der parlamentarische Untersuchungsausschuß St.-Jürgen-Straße selbst hat den Berichtsentwurf seines Vorsitzenden, Andreas Lojewski, bislang nicht beraten. Ein gemeinsamer Bericht existiert bis heute nicht.

Gestern - fast zwei Wochen nach seiner Veröffentlichung nahmen die Ausschußmitglieder erstmals auf einer gemeinsamen Pressekonferenz zu dem 740-Seiten-Entwurf ihres Vorsitzenden Stellung und meldeten - neben Zustimmung zu Lojewskis Sachdarstellung des Bremer Klinikskandals - z.T. auch scharfe Kritik an Lojewskis Bewertung und den Konsequenzen an. Während der Vorsitzende („Wir haben den sogenannten Klinik-Sumpf trockengelegt“) sich und dem Ausschuß auf die Schulter klopfte, waren sich der FDP-Klinik-Untersucher Heinrich Welke und die grüne Ausschuß-Vertreterin, Carola Schumann, einig: „Wir haben nur an der Oberfläche des Bremer Filz‘ gekratzt.“

Hauptkritikpunkt von FDP und Grünen: Statt eine Bestandsaufnahme der Verfilzung von SPD, Bremer Verwaltung und Wohlfahrtsverbänden wie dem Arbeitersamariterbund vorzunehmen,

habe Lojewski den Klinik -Skandal vor allem als Kette persönlicher Verfehlungen von Verwaltungsdirektor Galla und Ex-Senator Brückner interpretiert. Welke: „Aribert Galla war nicht nur ein politischer Hochstapler, er saß mitten im Bremer SPD-Filz.“ Und auch Schumann vermißte „ein ursprünglich vorgesehenes Kapitel“ über die Behördenstrukturen und Aufsichtsgremien, „deren Versagen Figuren wie Galla erst möglich gemacht haben.“ Rechtfertigung des Ausschußvorsitzenden für seine Version von den Hauptschuldigen Galla und Brückner: „Strukturen mögen der Nährboden für persönliche Verfehlungen und kriminelle Machenschaften gewesen sein, aber Korruption im öffentlichen Dienst gibt es schließlich überall, nicht nur im SPD-regierten Bremen.“

Ausdrücklich nicht als Aufgabe des Auschusses sah Lojewski die „Erarbeitung von Empfehlungen für die Zukunft“: „Es geht jetzt nicht darum, neue Empfehlungen auszusprechen, sondern die vorhandenen endlich umzusetzen.“ Dies sei nicht Aufgabe des Ausschusses, sondern die des neuen Verwaltungsdirektors und der Senatorischen Behörde.

Zumindest politische Konsequenzen verlangte dagegen CDU -Auschuß-Vizevorsitzender Gün

ter Klein: „Der St.-Jürgen Skandal ist nur ein Beispiel dafür, daß Bremen in einer komplizenhaften Kumpanei regiert wird, die das Ende des Sozial-und Rechtsstaats bedeutet.“ Bis zur Einsetzung des Ausschusses sei die Opposition vom damaligen Gesundheitssenator Henning Scherf wider besseres Wissen über das Ausmaß der wirtschaftlichen Unregelmäßigkeiten getäuscht worden, die Opposition systematisch an der Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen Rolle gehindert worden. Auch im Zusammenhang der vorzeitigen Pensionierung Gallas warf Klein Scherf „gesetzwidriges Verhalten“ vor.

Entscheidende persönliche Fehler räumte gestern Ex-Senator Brückner unmittelbar nach der öffentlichen Vorstellung des Berichtsentwurfs ein: „Die Berufung Gallas war ein Mißgriff, für den ich die Verantwortung trage“, sagte Brückner wörtlich. Brückner bedauerte, nicht selbst eine Lösung wie sein Nachfolger Scherf gefunden zu haben, um Galla loszuwerden. Auch für die jahrelangen Leitungsschwächen des Krankenhauses übernehme er die Verantwortung.

Entschieden verwahrte sich Brückner allerdings dagegen, im nachhinein „die gesamte Gesundheitspolitik des Senats zu diskreditieren“: „Wir haben von 1976 bis 1986 trotz aller Krisen aus

dem St.-Jürgen-Krankenhaus eine leistungsfähige und zuschußfreie Klinik gemacht“. Wenn der Ausschußvorsitzende Andreas Lojewski heute auch seine Auseinandersetzungen mit den Krankenkassen über die Höhe der Pflegesätze und die Finanzierung der

Frauenklinik, übernehme er nachträglich die „CDU-Propaganda von 1985“. Brückner: „Meiner damaligen Strategie hat schließlich nicht nur der Senat, sondern auch die SPD -Fraktion - inclusive Herrn Lojeski - zugestimmt.“

K.S.

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