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Hürdenlauf für Ökologisches Jahr

Das „Freiwillige ökologische Jahr“: Ein beachtenswerter Modellversuch in den Fallstricken der Sozialbürokratie / Bundesregierung zögert gesetzliche Regelung hinaus  ■  Von Till Reinhard Lohmeyer

Pia Harmeling (19) aus Lingen im Emsland ist unter die Autorinnen gegangen. Zusammen mit ihren Kolleginnen Gabi Hartz (20) aus Osterwalde bei Hameln und Michaela Bannasch (20) aus Oberhausen hat sie eine Broschüre zum Thema Vollwerternährung verfaßt, die - nebst Aufklärung von „Ausmahlungsgrad“ bis „Zucker“ - achtzehn ebenso schmackhafte wie gesunde Alternativrezepte zu Deutschmichels unbekömmlicher Eisbein-mit-Sahne-Cuisine enthält. Pia, Gabi und Michaela sind weder Absolventinnen eines angegrünten Volkshochschulseminars noch weltanschaulich beseelte Verdauungsberaterinnen von der Müsli-Front. Sie sind vielmehr Versuchskaninchen, und sie sind es gerne.

Der Staat ist ein Wal voller Tran und Trägheit, aber man sollte ihn nicht unterschätzen. Die Avantgarde reibt sich verdutzt die Augen, wenn ihre Ideen unvermittelt von BAT -entlohnten Bürologen aufgegriffen und in Vorgänge verwandelt werden.

Niedersachsen hat die Graswurzeln wachsen hören

Ministerien in ihrer Gründerzeit können Pionierbiotope für gesellschaftspolitische Neuerungen sein, denn sie haben Geld und leiden noch nicht unter den durch die Abwärme von Akten -Altlastdeponien hervorgerufenen Lähmungserscheinungen. Unverplante Planstellenbesitzer planen Projekte, die als Modellversuche beginnen und alsbald in ihre Pilotphase eintreten, während anderswo Mondphasenverwalter Dienstjahre streicheln. Dynamik ist Trumpf im Ressortdarwinismus, und davon haben Pia, Gabi und Michaela profitiert.

Schon bald nach seiner Einrichtung im Jahr 1986 hat das niedersächsische Umweltministerium die Graswurzeln wachsen hören und ein zum damaligen Zeitpunkt einmaliges Projekt in die Wege geleitet: das Freiwillige ökologische Jahr (FöJ). 1987/88 waren es 32, im Jahr darauf sechzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer, denen die Gelegenheit geboten wurde, sich zwölf Monate lang bei verschiedenen Organisationen über Theorie und Praxis des Umweltschutzes zu orientieren.

Das Ministerium rannte mit diesem Angebot offene Türen ein: Es erhielt im Laufe der Zeit mehr als 2.500 Anfragen aus allen Bundesländern, und auch die angeschriebenen Trägerorganisationen im Niedersachsenland, darunter die Norddeutsche Naturschutzakademie in Schneverdingen, die Vogelwarte Helgoland, die Städte Lingen, Uelzen und Buxtehude, das Energie- und Umweltzentrum am Deister sowie verschiedene Kreisgruppen des Deutschen Bunds für Vogelschutz zeigten sich angetan und kooperativ. Kein Wunder: Der Pflegenotstand in Krankenhäusern und Heimen absorbiert immer mehr Zivildienstleistende, für die man zudem den Umweltverbänden die Trägerzuschüsse halbierte oder strich.

Bedingung: Wetterfest

Zu den vielfältigen Arbeitsgebieten der FöJ-Eleven gehören je nach Träger - Bestandserfassungen von Pflanzen und Tieren, die Anlage und Betreuung von Hecken-, Trocken- und Feuchtbiotopen, Krötenzäunen, Kräutergärten und Obstwiesen mit historischen Obstsorten, aber auch Probenahmen im technischen Umweltschutz. Die Träger erwarten im allgemeinen keine besonderen Vorkenntnisse; manche verlangen „Wetterfestigkeit“ und Führerschein. Die Salem-Siedlung Kovahl nimmt nur Nichtraucher, und das Ministerium weist in diesem Fall fürsorglich darauf hin, daß die Applikanten „sich prüfen sollten, ob sie mit dem weltanschaulichen Umfeld zurechtkommen“.

Prüfungen gibt es keine, Pflicht dagegen ist die Teilnahme an vier oder fünf mehrtägigen Seminaren zu größeren Themenkomplexen wie Gewässerökologie, Energieversorgung oder Ökosystem Wald. Der Staat zahlt den „Ökis“ 300 DM Taschengeld im Monat und übernimmt die Auslagen für die Sozialversicherungen; viele Träger bieten freie Unterkunft und Verpflegung. Der Staat hat sich, so scheint es, das ebenso verständliche wie berechtigte Anliegen einer umweltsensibilisierten Jugend zueigen gemacht. Die FöJ -Helfer und -Helferinnen freuen sich, nach theorieüberfrachtetem Biologieunterricht in der Schule Praktisches leisten zu können. Sie lernen, ihr oftmals emotional vorgeprägtes Umweltbewußtsein fachlich-sachlich zu unterfüttern und Berufschancen im Ökobereich realistisch einzuschätzen.

Der Modellversuch, der von Wissenschaftlern der Universitäten Hannover und Braunschweig auch soziologisch und pädagogisch analysiert und für gut befunden wurde, ist geglückt.Vivant sequentes, möchte man rufen, schafft hundert, tausend FöJ-Stellen, die leidgeprüfte Umwelt wird's danken.

Wohlfahrtsverbände argwöhnen üble Konkurrenz

Aber vor den Preis hat der Gesetzgeber den Schweiß gesetzt, und der Elan einer jungen Bürokratie erfährt im Beharrungsvermögen der älteren erst seine Feuerprobe. Den Vorreitern auf dem Niedersachsenroß blies schon bald ein kühler Wind entgegen. Mit vollen Backen pusteten Träger, Verfechter und Verwalter des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) auf die Neuerer ein. Die kirchlichen und freien Wohlfahrtsverbände argwöhnten üble Konkurrenz; sie fürchteten, das FöJ könne ihnen die Klientel abspenstig machen und - schlimmer noch - an den gleichen Fördertöpfen naschen... Und wenn's ums Geld geht, ist mit den Menschenfreunden nicht zu spaßen.

Aus Kultus- und Bildungskreisen wurde vorgebracht, das FöJ führe zu unerwünschter „Ausbildungsverlängerung“ - ein Argument, das sich freilich selbst ad absurdum führt, da viele Teilnehmer im FöJ eine sinnvolle Überbrückung der unfreiwilligen Wartezeiten vor dem Studium sehen.

Das Freiwillige Soziale Jahr wird durch ein Bundesgesetz geregelt, und nichts anderes strebten und streben die Befürworter des FöJ auch für ihr Projekt an. Das zuständige Bundesfamilienministerium, das sich mit 48 Prozent an den Kosten des niedersächsischen Modellversuchs beteiligt, stand in der Ära Süssmuth diesem Ansinnen auch lange Zeit wohlwollend gegenüber. Doch dann trafen sich die Jugendminister der Länder im Mai 1988 in Würzburg zu einer Konferenz. Noch heute rätseln die FöJ-Protagonisten in Hannover und anderswo, wer dort den Dolch im Gewande trug. Nicht nur, daß die in Aussicht gestellte Verabschiedung eines Bundesgesetzes vom Ausgang weiterer Modellvorhaben abhängig gemacht und somit auf die lange Bank geschoben wurde - auch die Bayern, die zuvor durchaus anteilnehmende Neugier an den Tag gelegt hatten, gaben sich auf einmal zugeknöpft. Fürchtet die CSU-Regierung den Vorwurf, ein FöJ fördere klammheimlich das alternative Milieu? Oder sitzen auch ihr die Kirchen und Verbände im Nacken, der von den Reps ohnehin schon arg malträtiert wird?

Baden-Württemberg hat trotz zum Teil erheblicher Widerstände inzwischen nachgezogen und laut Kabinettsbeschluß vom 20.11.89 die Einführung eines freiwilligen ökologischen Jahres ab September 1990 gebilligt. Zum gleichen Zeitpunkt möchte auch Schleswig -Holstein beginnen, vorausgesetzt, es gelingt rechtzeitig, die anstehenden Finanzierungsprobleme zu lösen. In Berlin hat ausgerechnet der rot-grüne Senat das von seinem Vorgänger bereits gutgeheißene Projekt wieder gekippt (Warum??!, d.Korr.in).

Ende November 1989 trafen sich Organisatoren, Träger, Betroffene und wissenschaftliche Beobachter des niedersächsischen Modellversuchs in der Ökologisch -Historischen Bildungsstätte Papenburg (einem ökofuturistischen, windkraftgespeisten Gebäudekomplex, der allein schon die Fahrt ins Emsland lohnt) und tauschten ihre Erfahrungen aus. Volker Neidhart, zuständiger Referent im Hannoverschen Umweltministerium, wies auf die sozial-, steuer- und versicherungsrechtlichen Implikationen der ausbleibenden Regelung auf Bundesebene hin. Die fehlende rechtliche Gleichstellung mit dem FSJ bringt für die Jungökologen und ihre Eltern zahlreiche Nachteile mit sich: So wird das Kindergeld nicht fortgezahlt, und eine Förderung aus BaföG-Mitteln ist derzeit ebenfalls nicht möglich. Pia, Gabi und Michaela, die im Rahmen des FöJ an der Papenburger Bildungsstätte auch einen „Erlebnisgarten“ eingerichtet haben, hätten sich kaum träumen lassen, wo überall die Köpfe rauchen, um ihre Existenz juristisch abzufedern: Das Bundeskindergeldgesetz und die Reichsversicherungsordnung, das Angestelltenversicherungsgesetz und das Lastenausgleichsgesetz, das Bundesbesoldungsgesetz, das Bundesbeamtengesetz und das Einkommensteuergesetz...; sie alle sind durch das FöJ mittelbar oder unmittelbar betroffen und müßten mit den entsprechenden Ergänzungen versehen werden - ein gordischer Knoten, der durch ein Bundesgesetz analog zur FSJ-Gesetzgebung leicht zu lösen wäre, aber...

Immerhin - während Bonn aussitzt, bröckelt zumindest die Front der frommen Gegner. Sobald die kirchlichen Träger über entsprechende Einsatzstellen im Umweltbereich verfügen und selbst mit staatlich geförderten Helfern rechnen können, kräht kein Wetterhahn mehr, daß das Soziale Jahr verraten werde. Pia, Gabi und Michaela brauchen sich über derartige Wolkenschiebereien glücklicherweise nicht den Kopf zu zerbrechen. Sie haben - auf dem FöJ-Seminar Anfang Oktober 1989 im Schullandheim Riepenburg bei Hameln - ganzheitlich den Wald erfahren dürfen. Im Protokoll des Seminars heißt es: „Ein viel intensiveres Erleben des Waldes geschieht durch Tasten und Fühlen bei verbundenen Augen.“ Man fahre nach Bonn und taste und fühle. Vielleicht erfährt man das Gesetz ganz intensiv.

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