: Ums Karree
■ KUNST DENKT...
Über „Möglichkeiten und Probleme der Kunst am Ende des ausklingenden Jahrzehnts“ denkt der Schweizer Daniel Habegger in der Zwinger Galerie nach. Da möchten sich einige Bilder an den Händen fassen und vorüberziehen. Man erkennt herrschsüchtige und schnelle Pinselstriche. Man denkt an Mythen und multimediale Einsätze.
Nix da. Habegger übt sich in kontemplativer Askese; verzichtet auf Farben, nimmt kleinere und kleine Formate.
Nimmt einen amerikanischen Soldaten, Zitat eines'Life' -Fotos und läßt ihn zweimal, mit kleinen Veränderungen, die Fahne emporrecken. Die Einsamkeitsgeste des 40er Jahre GIs, findet sich zurückgenommen in die Weite des französischen Comicstrichs - mit blassem Blau zwischen Triumphbögen. Daß die Fahnenstange des „Männlichen Einsamkeitsprojekt“ (gib's zu) als Erektion erscheint, deutet nicht so sehr auf die üblichen Einheitsplatitüden: Sexmannmachtkrieg, als auf die peinliche Spaltung dessen, der da steht und dem Habegger dann auch noch die Fahne im Ansatz abgeschnitten hat.
Fünfteilig erzählen verschiedene Objekte „Die Krankengeschichte des Würfelsockels, Teil A“. Ein Würfel wird im zweiten Raum einer Röntgenuntersuchung unterzogen. „Deutlich sind die erkrankten Stellen zu erkennen.“ Deutlich zu erkennen ist für das bloß sehende Auge nur die Isometrie des Körpers. Anderswo geht es um Strukturen, um schwarze, gemalte Flächen, die geschlossen wirken, aber den Blick auf die Leinwand dahinter frei geben. In sie hinein gemalt oder als Kopien untergelegt: vervielfältigt und vergrößert irgendetwas Unbekanntes, das nun aussieht wie geheime Schriftzeichen, hergestellt in einem geheimen Fotoverfahren.
„Fallen/Glück“ heißt ein Kartenbild, rechts oben und links unten stehen die Farben, Pique, groß und klein, im Gleichgewicht. Habegger läßt zwei Ränder frei, an denen zwischen Bild- und Spielkartenkante die nackte, häßliche Leinwand hervorbricht. Der Rand der Karte nicht säuberlich, sondern „drüber gemalt“ - mit diesen Worten wurde man als Kind getadelt, wenn der Pinsel im Malbuch über den Rand hinaus rutschte. Unter dem Weiß der Karte findet sich ein Stück Reispapier.
Was heißt schließlich „Möglichkeiten und Probleme der Kunst am Ende des ausgehenden Jahrzehnts“? Möglichkeiten, also Chancen, also immer auch Glücksmöglichkeiten im Fallen des Würfels, wenn der Würfel selber schon krank ist? Weiß es der Künstler, oder ist der nicht eher Bauleiter für Denkversuche; jemand, der die Materialien, das Dargestellte und die Titel so verschaltet, daß der Besucher bei der Kunst nur noch den entstehenden unendlichen Wegen nachzugehen braucht? Frag‘ die Kunst. Der Kunst, einem Spielkartenbild, ist nicht nur der Titel, sondern auch der König abhanden gekommen. Energisch verweist ein „K“ am Rande auf sein Fehlen. Sein Platz wird durch graue Strukturen besetzt. In der Schweiz, so wird geraunt, hatte das kunstverständige Publikum Habegger darauf hingewiesen, ohne den kleinen Verweis auf den abwesenden Pik-König wäre „o.T.“ (1989) gute Kunst.
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