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„Plötzlich so ein komisches Schweigen...“

■ Prozeß in Moabit: Krankenpfleger wird beschuldigt, Schwesternschülerinnen des Jüdischen Krankenhauses im Wedding mehrfach vergewaltigt zu haben / Die Frauen schwiegen zunächst / In der Verhandlung stand Aussage gegen Aussage

Zwei Schwesternschülerinnen des Jüdischen Krankenhauses im Wedding hatten lange gezögert, bis sie ihrer Lehrschwester im Dezember 1987 offenbarten, daß sie von einem Pfleger des Hospitals vergewaltigt worden seien. In dem Gespräch versicherten die beiden jungen Frauen, daß sie kein Interesse daran hätten, den Pfleger anzuzeigen, weil die in Rede stehenden Taten bereits über ein Jahr zurücklagen. Die Klinikleitung möge aber dafür sorgen, daß der Mann aus dem Verkehr gezogen werde, denn er habe noch eine dritte Schülerin vergewaltigt. Der von der Krankenhausleitung mit den Vorwürfen konfrontierte Pfleger bestritt diese jedoch vehement und erstattete gegen die Lehrschwester Anzeige wegen falscher Verdächtigung. Daraufhin wurde die Lehrschwester von der Kripo vorgeladen und gab dort die Schilderung und Namen der Schülerinnen preis. Die beiden Frauen wurden vernommen und gegen den Pfleger ein Ermittlungsverfahren wegen mehrfacher Vergewaltigung eröffnet.

Seit gestern steht der 38jährige Johann R. vor Gericht. Der Angeklagte, der sich auf freiem Fuß befindet und weiterhin in der Klinik beschäftigt ist, blieb dabei, daß er unschuldig sei. Von seinem Naturell her sei er aber ein Mann, der seine Kolleginnen und wohlgemerkt auch Kollegen gern umarme und diesen „durchaus auch mal auf den Po“ haue oder ihnen einen Kuß aufdrücke. Er habe aber in seinem ganzen Leben noch nie einer Frau Gewalt angetan, beteuerte der Pfleger.

Die 23jährige ehemalige Schwesternschülerin Angeklika O. mußte eine eingehende Belehrung des vorsitzenden Richters Reinwarth über die Folgen einer Falschaussage über sich ergehen lassen, bevor sie zu den Taten befragt wurde. Dann schilderte sie, daß sie von dem Angeklagten im Mai 1986 beim gemeinsamen Spätdienst auf der chirurgischen Männerstation 5 in einem nicht belegten Einzelzimmer auf das Bett geworfen und vergewaltigt worden sei. „Ob ich geschrien habe, weiß ich nicht mehr, aber gewehrt habe ich mich bestimmt“, sagte die Zeugin. Sie habe danach aber ganz normal weitergearbeitet und keinem etwas davon erzählt. Zwei Wochen später sei sie zu dem Pfleger ins Auto gestiegen, weil jener erklärt habe, er wolle sich mit ihr aussprechen. Stattdessen habe er sie im Auto erneut vergewaltigt.

Nach ihrer Versetzung auf eine andere Station hatte sich Angelika O. mit ihrer Mitschülerin Carola P. über die Lehrzeit auf der Station 5 ausgetauscht. Bei diesem Gespräch, so Angelika O. gestern, „war plötzlich so ein komisches Schweigen“, und dann sei nach und nach herausgekommen, daß auch Carola um die Jahreswende 1985/86 von dem Pfleger R. in dessen Auto vergewaltigt worden sei. Weil Carola noch von der Vergewaltigung einer dritten Mitschülerin gehört habe, hätten sie sich entschlossen, der Lehrschwester Mitteilung zu machen. „Wir wollten keine Anzeige machen, sondern nur erreichen, daß keine Schülerin mehr auf die Station 5 geschickt wird“, versicherte Angelika O.

Fast deckungsgleich schilderte Carola P. im Zeugenstand, daß auf der Station 5 unter den Kollegen ein „rauher, vulgärer, anzüglicher“ Umgangston geherrscht habe. Der Pfleger R. habe sich davon anfangs wohltuend ausgenommen. Nachdem er so das Vertrauen erweckt habe, habe er den Schülerinnen plötzlich an den Busen getatscht und Sprüche gemacht wie: „Ich würde dich auch mal gern vernaschen, wenn du nicht so jung wärst.“

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