: HÜTCHEN AUF DER STRASSE
■ Mit einem jahrhundertealten Glücksspiel werden Touristen weltweit übers Ohr gehauen
Für alle, die ihr Geld garantiert verlieren wollen, gibt es einen sicheren Tip. Sie brauchen es nur auf der Straße beim sogenannten Hütchenspiel einzusetzen.
An Straßenecken, in Fußgängerzonen, auf Flohmärkten - immer im dichten Publikumsstrom - stehen ein paar Leute um einen großen Pappkarton herum. Auf der Kiste befindet sich eine weiche Unterlage, auf der entweder drei Hütchen, Flaschenschraubverschlüsse, Möhrenscheiben, Kartoffelhälften, Holzkäppchen oder ähnliches liegen. Hinzu kommt noch ein kleines Schaumgummibällchen. Ein Spielleiter deckt den Gummiball mit einem der Hütchen zu und bewegt dann flink alle drei Hütchen einige Male hin und her und durcheinander. Die Zuschauer sind verwirrt und wissen nicht mehr, unter welchem der drei Hütchen der Gummiball liegt, wenn die Hütchen wieder ruhig in einer Reihe liegen. Meint einer der Umstehenden dennoch, Bescheid zu wissen, kann er einen Geldschein setzen und das Hütchen aufdecken, auf das er getippt hat. Liegt der Ball darunter, dann gewinnt er den doppelten Einsatz, befindet sich die Kugel erstaunlicherweise nicht darunter, na ja, dann hat der Passant verloren. Das nächste Spiel beginnt sofort anschließend. Die Chancen stehen offensichtlich eins zu drei, und mit einer guten Beobachtungsgabe scheint das Verlustrisiko immer kleiner zu werden.
Der Trick
Egal aus welchem Material die Hütchen bestehen, immer haben sie innen eine gerundete Form. Das Bällchen ist stets aus einem weichen elastischen Stoff, zumeist aus Schaumgummi. Wird so ein Hütchen mit dem Bällchen darunter auf der weichen Unterlage hin- und hergeschoben, passiert überhaupt nichts. Kippt der Spielleiter aber dabei das Hütchen nur um wenige Millimeter, was wird dann der Gummiball machen? Ganz einfach, er quetscht sich durch den Spalt und quillt unter dem Hütchen hervor. Die gerundete Innenform des Hütchens und die weiche Unterlage unterstützen den Vorgang dabei bestens. Jetzt kann der Spielleiter den Ball geschickt mit den Fingern greifen, die nicht das Hütchen führen, sondern sich dahinter befinden und durch den Handrücken und das Hütchen verdeckt sind. Nun braucht der Spielleiter nur noch das Hütchen zu wechseln und mit einer rückführenden Bewegung das Bällchen unter ein anderes Hütchen zu quetschen. Dies gechieht so schnell, daß die Zuschauer es unmöglich bemerken können, zumal sie sich auf das ursprüngliche Hütchen konzentriert hatten.
Der Trick ist einfach und genial, er klappt immer. Dies ist ein Klassiker unter den Tricks. Mit ihm werden schon seit ein paar hundert Jahren die Leute übers Ohr gehauen.
Helfershelfer
Der Spielleiter hat im Publikum zwei oder drei Helfershelfer, die mitspielen und dabei sowohl gewinnen als auch verlieren. Sie fungieren als Animateure und sollen die anderen ZuschauerInnen zum Mitspielen verführen. Mit Vorliebe werden Touristen als mögliche Opfer auserkoren. Dies läßt auf eine realistische Einschätzung und positive Erfahrung des Betrügerteams schließen, daß im Urlaub das Geld lockerer sitzt als zuhause. Der „Schon wieder„-Trick
Der Spielleiter bewegt die Hütchen so langsam, daß es für alle Umstehenden leicht nachvollziehbar ist, unter welchem das Bällchen liegt. Oft spielt der Betrüger so ungeschickt, daß das Hütchen mit der Kante kurz auf dem Ball liegenbleibt, bevor es ihn vollends zudeckt. Schon allein diese Ungeschicklichkeit müßte es eigentlich zur Warnung genügen. Die Teammitglieder spielen mit und gewinnen natürlich. Niemand wundert sich. Nur einer - einer der Helfershelfer! - scheint so töricht zu sein, daß er trotz der Offensichtlichkeit immer ein falsches Hütchen aufdeckt und verliert. Dieser scheinbare Dummkopf ist für die psychologische Manipulation viel wichtiger als der Gewinnende. Denn jeder der ZuschauerInnen wird durch ihn in der Meinung gestärkt, daß er es jedesmal besser gewußt und „schon wieder“ gewonnen hätte. Er wird in seiner Eitelkeit gegenüber dem dummen Mitspieler gekitzelt. Der „Falsche Fährte„-Trick
Manchmal verliert der Animateur deshalb, weil der Spielleiter das Hütchen mit dem Bällchen hinterher noch schnell in eine andere Position bringt, solange der scheinbare Dummkopf nach seinem Geld sucht oder sich sonstwie ablenken läßt. Alle sehen den Betrug! Nur der „Dummkopf“ nicht, deshalb verliert er. Seltsamerweise sogar mehrmals hintereinander, ohne klug zu werden.
Aber alle Umstehenden sind sich nach ein paar Mal Zuschauen sicher, daß das nachträgliche Verschieben des Hütchens der Trick sei. Der Zuschauer wird mit dem deutlichen Aufzeigen eines Tricks auf eine „falsche Fährte“ gelockt, die vom eigentlichen Trick wegführt.
Dieser „Falsche Fährte„-Trick, kombiniert mit dem Effekt des „Schon wieder„-Tricks, bestätigt das Selbstbewußtsein des Zuschauers, schlauer zu sein als der Spielleiter, weil er dessen Betrugsgeheimnis erkannt zu haben glaubt. Der „Garantierter Gewinn„-Trick
Der Spielleiter spielt so ungeschickt, daß für alle deutlich zu sehen ist, wo das Bällchen liegt. Einer vom Team legt schnell seinen Finger auf das Hütchen, unter dem tatsächlich die Kugel liegt, und hält es fest. Ein nachträgliches Verrücken ist also nicht mehr möglich. Statt jetzt selbst mitzuspielen, obwohl er gewinnen würde, animiert er eine fremde Person dazu. Wird gezögert, greift er die Hand einer Frau und legt deren Zeigefinger auf das Hütchen. Der Begleiter der Frau kann jetzt leicht zum Mitspielen überredet werden, zumal seine Begleiterin plötzlich die Rolle einer unfehlbaren Glücksfee bekommen hat und beide im Mittelpunkt der Szene stehen. Der nächste Trick
Während nach Geldscheinen gesucht wird oder während des Zeigefingeraustauschs schiebt der Spielleiter gedankenverloren, wie um Zeit zu überbrücken, jedes einzelne Hütchen etwas nach vorne und wieder zurück auf seine vorherige Position. Für alle sichtbar hat er keine Positionsveränderung eines Hütchens vorgenommen. Er hat also, so sieht es aus, absolut nichts verändert oder getrickst. Aber dies ist die Umkehrung des „Falsche Fährte„ -Bluffs. Indem er ihn diesmal nicht macht, fällt man auf ihn herein. Der eigentliche Trick hat bereits beim gelangweilten Vor- und Zurückschieben der Hütchen stattgefunden.
Die beschriebenen Tricks stellen nur die Grundmuster dieser Betrügereien dar, quasi die Pflichtübung. Die Kür des Hütchenspiels umfaßt unzählige und unbeschreibbare Variationen, die niemand kennen kann.
Eines aber steht fest: Die Gewinnchancen beim Lotto sind größer.
Gerhard Drexel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen