: Weniger wäre mehr
■ „Gegeneinladung“ von Liz King - der Neuanfang des Heidelberger Tanztheaters
Daß Heidelberg zu einer Hochburg des deutschen Tanztheaters wurde, dafür hat der Choreograph Johann Kresnik ein Jahrzehnt lang gesorgt. Es hat seinem Ruf dabei nicht geschadet, daß seine Choreographien nicht von der Tanzbewegung ausgingen und oft eher Akrobatik boten. Auch nicht, daß er sich gelegentlich vergriff und etwa aus Pasolini einen leidenden Jesus machte. Letztes Jahr ging er nach Bremen. Man hätte ihn gerne gehalten: Heidelbergs Tanz -Renommee stand auf dem Spiel. Es wurde Zeit, daß Intendant Peter Stoltzenberg sich umsah, auch er hatte einen Ruf zu verlieren - den des Talententdeckers.
Mitte des Jahres kam die Entwarnung. Stoltzenbergs Wahl war auf die Leiterin des „Tanztheaters Wien“ gefallen, Liz King, eine ehemalige Cranko-Tänzerin und Absolventin der Londoner Royal Ballet School. Daß sie einen anderen Tanz als Kresniks möbelreiche Akrobatenstücke nach Heidelberg bringen würde, konnte schon vor der Pemiere ihrer Gegeneinladung vermutet werden. Liz King sagt, sie sei von Beckett fasziniert. Zwar wolle sie nicht die Welt des Iren tänzerisch auf die Bühne bringen, seine geistige Konzentration sei ihr aber Vorbild. Tanzfremde Geschichten interessierten sie nicht, wichtig sei, was sich aus dem Tanz selbst entwickeln lasse. Die Überraschung ist also groß, wenn sich in der Eröffnungsszene der Gegeneinladung drei Frauen werbend einem Mann anbieten, offensichtlich stand der griechische Mythos des Paris-Urteils Pate. Die drei führen die Gesten vor, derer man sich in solchen Situationen bedient, eine präsentiert das von Menstruationsblut gefärbte Kleid. Sie (Kate Antropus) und der Mann (Christian Camus) sind das Paar des Abends. Am Ende, wenn sie schon den Brautschleier trägt, wirbt sie immer noch um den etwas unentschlossenen und verwirrten Mann. Die anderen Tänzer tragen offene Wunden, der Mann ein großes Pflaster wie nach einer Bauchoperation - ein aufdringliches Symbol, und die Enthüllung kündigt sich während des ganzen Abends an.
Die Zeit bis dahin füllt Liz King mit Tanzbildern, die mehr tänzerischen Gehalt haben als vieles von dem, was man sonst im Tanztheater geboten bekommt. Sie scheut sich nicht, klassische Ballettfiguren einzustreuen; den beiden Protagonisten wird jeweils eine Soloeinlage nach klassischer Musik zugestanden. Drumherum tanzt die Truppe eine Unzahl anderer Geschichten - der Tanz selbst ist immer Thema. Daß das Menstruationsblut des Anfangs und die nicht blutenden Wunden der Männer in Zusammenhang stehen, darf vermutet werden. In welchem, läßt Liz King im dunkeln. Am Ende reißt die Frau dem Mann das Pflaster ab. Darunter - natürlich die Wunde. Sie klebt sich das Pflaster ins Gesicht, er lacht befreit auf. Weniger wäre besser gewesen.
Die Musik zur Gegeneinladung hat sich Liz King vom Wiener Heinz Leonhardsberger schreiben lassen, der sich im Programmheft als „totaler Künstler und Lebensautodidakt“ verkauft. Er schrieb unter anderem auch die Filmmusik für Luc Bondys Das weite Land, seine rhythmische Geräuschkomposition aus der Wunderwelt des Musikcomputers gehören zum Gängigsten aus diesem Bereich.
Jürgen Berger
Liz King: Gegeneinladung. Musik: Heinz Leonhardsberger. Ausstattung: Jennie Norman.
Die nächsten Termine: 28. Januar, 1., 18., 20., 23. Februar.
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