„Ich hab noch eine 86jährige Tante...“

■ taz-Gespräch mit Eltern, die zusammen mit ihren Kindern vom KiTa-Streik betroffen sind / Die interviewten Eltern sind mit den Streik-Zielen solidarisch und sagen: „Die lange Streikdauer radikalisiert uns...“

Der KiTa-Streik geht in die vierte Woche, ein Ende ist nicht abzusehen. Die taz sprach mit einigen Eltern: Antonia V., Sozialarbeiterin, verheiratet, zwei Kinder, drei und vier Jahre alt. Elisabeth L., selbständige Kostümschneiderin, alleinerziehend, ein sechsjähriges Kind. Antje J., Erzieherin, alleinstehend, eine Tochter, neun Jahre. Wolfgang H., Freiberufler, verheiratet, ein Sohn von fünf Jahren.

taz: Wie und wo habt Ihr Eure Kinder untergebracht?

Antonia: Meine Kinder bringe ich manchmal zu einer Freundin die ein Kind bekommen hat, gelegentlich kommt auch eine andere Mutter zu mir und bringt ihre eigenen Kinder mit. Jetzt hat mein Mann seinen Jahresurlaub genommen, vielleicht muß ich auch bald meinen nehmen, oder ich bring‘ sie mit zur Arbeit.

Elisabeth: Zum Teil ist meine Tochter alleine zu Hause, manchmal bei mir während der Arbeit.

Antje: Am Anfang des Streikes hatte ich Urlaub genommen und noch ein Kind einer Freundin mitbetreut. In der zweiten Woche hatten wir Glück, ein Vater hat meine Tochter mit in die Ferien genommen. In der nächsten Woche wird sie wohl oft alleine zu Haus bleiben.

Wolfgang: Wir haben uns mit vier Eltern zusammengetan und betreuen die Kinder abwechselnd.

Wie lange könnt Ihr die private Unterbringung Eurer Kinder noch organisieren?

Antonia: Das kann ich nicht sagen. Ich sehe auch, daß bis jetzt die allermeisten Eltern solidarisch waren, aber ein Umkippen der Situation ist bald möglich.

Elisabeth: Ich muß Menschen suchen, mit denen ich mich abwechseln kann.

Antje: Ich werde meine Tochter, wenn es hart wird, in das Streikbüro mitbringen. Irgendwie werde ich das schon hinkriegen, ich habe hier noch eine 86jährige Tante.

Wolfgang: Wir werden in Zukunft noch mehr auf Demonstrationen gehen als bisher, die lange Streikdauer radikalisiert uns auch. Uns wundert aber, wie gut der Zusammenhalt zwischen Eltern und Erzieher noch ist. Wir glaubten, die Eltern würden viel früher sauer werden. Am meisten überrascht mich, daß gerade die Alleinerziehenden unbedingt dafür sind, daß der Streik weitergeht. Natürlich gibt es auch Eltern, die gegen den Streik sind. Auf jeden Fall ist das eine Minderheit.

Seid Ihr dafür, daß der Streik abgebrochen wird?

Antonia: Dafür bin ich auf keinen Fall. Ich unterstütze die Forderungen der Erzieher.

Elisabeth: Die Forderungen der Erzieher sind richtig und es geht ja dabei um unsere Kinder. Für unsere Kinder ist die Situation im Moment am schwierigsten, sie können nicht jeden Tag woanders hin. Ein Streikabbruch ohne zufriedenstellendes Ergebnis wäre aber auch ein ungeheurer Rückschlag für die Frauenbewegung. Noch nie haben in Berlin so lange Frauen gestreikt.

Wolfgang: Wir haben erst während des Streikes angefangen, uns um die Situation in den KiTas zu kümmern. Jetzt fällt uns sehr auf, daß die Kinder in den selbstorganisierten Kleingruppen lange nicht so nervös sind, wie in den KiTas. Für uns ist das ein Beweis, daß die KiTa-Gruppen zu groß und die Räume zu klein sind. Unsere ganze Elterngruppe ist dafür, daß der Streik bis zu einem Erfolg weitergehen muß.

Der Senat argumentiert, daß nie zuvor ein Senat sich so um die KiTas gekümmert habe. Mehr ginge nicht, da der Zustrom von Aus- und Übersiedlern zusätzlich den Etat belaste.

Antonia: Ich finde die Argumentation absolut übel. Hier werden Kinder gegen Aus- und Übersiedler ausgespielt - eine ganz miese Taktik.

Elisabeth: Ich denke, daß wir in den KiTas schon lange an der Grenze der Belastbarkeit sind. Natürlich sehen wir die finanziellen Schwierigkeiten, die der Senat jetzt hat, aber unsere Schwierigkeiten sind uralt und wurden immer verschleppt.

Wolfgang: Ich habe den Eindruck, daß der Senat sich wegen Kindern nicht mit Bonn in die Haare kriegen möchte, die haben schon genug Auseinandersetzungen zu führen. Der Senat verwaltet im Moment nur alle Probleme - sie entwickeln keine Perspektiven für eine Kinder- und Frauenpolitik.

Interview: Anita Kugler