: Nato sucht Lebensraum im Osten
■ DDR künftig in der Nato? / Militärischer Einflußbereich in den alten Grenzen / Gorbatschow soll zugestimmt haben / Kohl verspricht Hilfe
Berlin (taz) - Gorbatschows jüngst gemachte Äußerung, die deutsche Einheit stehe auf der Tagesordnung, ist an diesem Wochenende bereits Wirklichkeit geworden: Beim Weltwirtschaftsforum im schweizer Luftkurort Davos und bei der Wehrkundetagung im München stand das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten an oberster Stelle der Tagesordnung. Und offenbar geht es nicht mehr das Ob, sondern nur noch das Wie. DDR-Minsterpräsdident Modrow machte bei einem Gespräch unter vier Augen Bundeskanzler Kohl die wirtschaftlich und sozial prekäre Lage seines Landes deutlich. Mit der Festlegung des Wahltermins auf den 18.März gebe es für Bonn keinen Grund mehr, die angekündigte konkrete und solidarische Hilfe weiter hinauszuzögern. Kohl versprach schnelle wirtschaftliche Hilfe, ohne dies jedoch zu präzisieren, und verbürgte sich, bei den Wirtschaftsverbänden vorzusprechen, um möglichst bald Betriebsgründungen namhafter deutscher Unternehmen in der DDR zu erreichen. Staatliche Ressourcen und private Investitionen sollten „rasch und entschieden“ gebündelt werden. Es gelte, Zeichen zu setzen, die den Menschen in der DDR zeigen, daß es die Bundesrepublik ernst meint mit der Hilfe. Darauf warten die DDR Menschen immer dringender, sagte der Kanzler. Wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Späth im Anschluß an seine Reise nach Dresden berichtete, würden die Leute immer ungeduldiger. „Lieber 3.000 West-Mark und ausgebeutet als 800 Ost-Mark und mitregieren“ sei häufig die Devise, berichtet Späth.
Auf der Wehrkundetagung in München ereiferten sich westliche Politiker und Militärs über den künftigen Einflußbereich der Nato in einem vereinigten Deutschland. Regierungssprecher Schäfer skizzierte die von Genscher vorgegebene Linie, wonach der militärische Einflußbereich der Nato nicht über die Grenzen der Bundesrepublik hinausgehen solle. Die DDR, oder was noch davon übrig bleibt, könne aber durchaus in die Nato integriert werden. Dabei wird an einen Status gedacht, der dem von Frankreich vergleichbar wäre.
Mit der Frage von Egon Bahr „Wo verläuft dann die Front?“ entbrannte eine Diskussion darüber, ob überhaupt und wenn, dann was für Truppen auf dem Territorium der heutigen DDR stationiert werden sollen. Rechtsaußen Dregger würde Nato -Truppen gleich an die Oder-Neiße-Grenze schicken, Bundesverteidigungsminister Stoltenberg kann sich das zwar nicht vorstellen, für deutsche Truppeneinheiten könne er sich aber erwärmen.
Aus Geheimdienstkreisen war zu hören, Gorbatschow und seine Berater seien bereits zu der Einschätzung gekommen, ein in den Westen integriertes und eingebundenes Deutschland entspreche den sowjetischen Sicherheitsinteressen eher als ein unkalkulierbares Gesamtdeutschland.
Eine Neutralität der beiden dann geeinten deutschen Staaten stand in München selbstverständlich nicht zu Diskussion. DDR -Ministerpräsident Modrow hat sie jüngst noch gefordert, nach den Aufschreien der Empörung jetzt aber als „Überlegung zum Dialog“ heruntergestuft.
Zustimmung erntete Modrow von DDR-SPD-Geschäftsführer Ibrahim Böhme: Die Mitgliedschaft eines einheitlichen Deutschlands in der Nato sei „nicht machbar“. So wie die Diskussion über den Modrow-Plan gegenwärtig laufe, sei sie „recht unsensibel“ im Umgang mit den Siegermächten und den Anrainerstaaten. Weitere Berichte Seite 2
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