piwik no script img

Der Lohn der professionellen Demokratie

Beim Berliner Finalturnier des Eishockey-Europacups präsentierte sich ZSKA Moskau mit einem geläuterten Trainer Tichonow / Völlig ungefährdet holten die sowjetischen Puck-Rastellis ihren 20. Europacup  ■  Aus Berlin Matti Lieske

Früher oder später schaut der Zeitgeist bei jedem vorbei, sogar bei Viktor Tichonow, dem einst so grimmen Trainer ZSKA Moskaus, und der sowjetischen Eishockey-Nationalmannschaft. Unerschrocken hatte der gestrenge Oberst der Roten Armee jahrelang gegen Liberalisierungs- und Professionalisierungtendenzen im sowjetischen Eishockey gekämpft, hatte seine Superstars, die mehr Freiheit und weniger Drill forderten, gegen sich aufgebracht und hatte ihren Wechsel in die nordamerikanische Profiliga NHL lange hintertrieben. Zu Pressekonferenzen schickte er stets seinen Assistenten, und ansonsten beschränkte er sich darauf, griesgrämig an der Bande herumzustehen und möglichst verdrossen dreinzublicken.

Aber, o Wunder, die Perestroika scheint nun auch ihm, einem der letzten freilebenden Eis-Stalinisten, zu Kopfe gestiegen zu sein. Beim Endturnier des Europapokals der Landesmeister in Berlin präsentierte sich plötzlich ein ganz anderer Tichonow. Aufgeräumt plauderte er höchstselbst mit den Journalisten, lachte freundlich, leistete sich sogar ein paar Witzchen und propagierte unverhofft eine sogenannte „professionelle Demokratie“, die er in seinen Teams eingeführt habe. Einen Spielerrat gebe es nunmehr, und bei wichtigen Problemen, wie etwa der Mannschaftsaufstellung, werde versucht, einen Konsens zu finden. Der stählerne Schimmer in seinen Augen, den alle Leutseligkeit nicht übertünchen konnte, verriet allerdings unmißverständlich, wer die Entscheidungen trifft, wenn der besagte Konsens nicht hergestellt werden kann.

Neunzehnmal hatte ZSKA Moskau bisher am Europacup teilgenommen und neunzehnmal hatte das Team gewonnen, zuletzt zwölfmal in Folge. Insgesamt gab es seit der Einführung dieses Wettbewerbs im Jahre 1966 überhaupt erst drei andere Sieger, in den ersten drei Jahren, als der sowjetische Meister fernblieb, jeweils ZKL Brünn, 1975 Krilja Moskau und 1977 Poldi Kladno, das sich gegen den damaligen UdSSR-Meister Spartak Moskau durchsetzte.

Bei einer derartigen sowjetischen Überlegenheit ist es kein Wunder, daß die anderen europäischen Teams dem Europacup kaum etwas abgewinnen können und daß auch die Zuschauer nicht gerade massenhaft in die Hallen strömen. Dabei hatte es nicht schlecht begonnen. 1970/71 sahen insgesamt 28.000 Menschen die beiden Finalspiele zwischen ZSKA und Dukla Jihlava (CSSR), und 1974 brachte das Achtelfinal-Gastspiel des Berliner Schlittschuhclubs in Bern mit 16.512 Besuchern sogar einen absoluten Zuschauerrekord. Dann ließ das Interesse jedoch nach, woran auch die Einführung eines Vierer-Finalturniers anstelle der Endspiele nichts änderte. Im vergangenen Jahr in Köln kamen an drei Tagen immerhin fast 20.000 Menschen, was hauptsächlich am Mitwirken des Kölner EC lag. Diesmal in Berlin, wo die Halle aus den Nähten platzt, wenn Preußen gegen den Tabellenletzten Freiburg um Bundesligapunkte spielt, erschienen zum Puckfeuerwerk der vier besten europäischen Klubteams nicht einmal 10.000 wahrhaft Eishockeybegeisterte.

Katz und Maus

Favorit war, keine Frage, ZSKA Moskau, obwohl Tichonows gesamter erster Block mit Larionow, Krutow, Makarow, Fetisow und Kasatonow in die NHL abgewandert ist und ZSKA in der sowjetischen Liga derzeit nur an zweiter Stelle liegt. Die verbliebenen acht Nationalspieler, ergänzt durch viele junge Talente, genügten jedoch völlig, um mit Europas gestandenen Landesmeistern Katz und Maus zu spielen. Weder der SB Rosenheim, der das Ganze eher als „Training“ (Torwart Friesen) betrachtete, noch die Schweden aus Djurgarden hatten dem jüngsten Team der sowjetischen Liga etwas entgegenzusetzen.

Djurgarden lag nach einem elfminütigen Eröffnungswirbel der Herren Bykow, Khomutow, Kamensky & Co schon hoffnungslos mit 0:3 zurück und hatte Glück, daß es die Sowjets bei einem 5:1 bewenden ließen. Für die Rosenheimer gestaltete sich das angestrebte Training beim 0:6 zum reinen Anschauungsunterricht. Bei ihrer dritten Niederlage, die endgültig Platz vier bedeutete, konnten sie nur hilflos staunen, wenn die ZSKA-Cracks maradonagleich zwischen ihnen hindurchdribbelten, den Puck billardartig umherprallen ließen oder rasante Pirouetten drehten, die wohl sogar bei den Eiskunstlauf-Europameisterschaften in Leningrad Eindruck gemacht hätten.

Einzig die Finnen von TPS Turku, die vorher keiner auf der Rechnung hatte, vermochten es, den Moskowitern einigermaßen Paroli zu bieten. Bis zum Schlußdrittel konnte die Mannschaft um den sowjetischen Nationalspieler Tjumenew ein 1:1 halten, und hätte der großartige Kanadier Malcolm Davis bei einem Break im zweiten Drittel den Puck nicht an die Latte, sondern ins Tor geknallt, wären die Sowjets möglicherweise gar ins Schwitzen gekommen. So aber brachen sie mit dem 2:1 in Überzahl schließlich den Widerstand der Finnen, siegten 4:2 und holten sich hochverdient das Preisgeld von 60.000 Schweizer Franken, das sie, wie Viktor Tichonow dreist behauptete, angeblich sogar unter sich aufteilen dürfen.

Den Gewinn des Europacups bezeichnete Tichonow als „sehr wichtig“ für sein neuformiertes Team, das sich kürzlich auch bei einer Nordamerikatournee gegen NHL-Klubs recht ordentlich gehalten hatte. Einige der jungen Nachwuchstalente haben auf dieser Reise schon Aufnahme in diverse Notizbücher von NHL-Aufkäufern gefunden, und es ist Viktor Tichonow nicht zu verübeln, wenn er genüßlich auf die Schwierigkeiten hinweist, die seine abtrünnigen Wunderspieler zur Zeit in Amerika haben. „Sie spielen schlechter als bei uns“, konstatierte der Eishockey-Oberst mit sichtlicher Genugtuung und erklärte auch gleich, woran das liegt: „Sie spielen nicht zusammen, und sie haben keine Vorbereitung unter Viktor Tichonow absolviert.“

Djurgarden - Moskau 1:5, Rosenheim - Turku 2:4, Rosenheim Djurgarden 2:4, Moskau - Turku 4:2, Rosenheim - Moskau 0:6, Turku - Djurgarden 3:4

Abschlußtabelle: 1. ZSKA Moskau 15:3/6:0; 2. Djurgarden Stockholm 9:10/4:2; 3. TPS Turku 9:10/2:4; 4. SB Rosenheim 4:14/0:6

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen