piwik no script img

KPdSU-Parteitag wird vorverlegt

■ Gorbatschow schlägt Verzicht auf das Machtmonopol der KP vor / Mehrparteiensystem existiert de facto

Moskau (afp) - Gestern eröffnete Parteichef Gorbatschow das auf zwei Tage anberaumte Plenum des ZK der KPdSU. In seiner einstündigen Eröffnungsrede soll Gorbatschow vorgeschlagen haben, den eigentlich für Oktober geplanten 28. Parteitag der KPdSU auf Juni oder Juli vorzuverlegen. Das ZK wird über den Entwurf einer Plattform entscheiden, der grundlegende Veränderungen in Partei und Staat vorsieht. Sogar der verfassungsrechtlich verbriefte Führungsanspruch der Partei steht zur Disposition. Dazu sagte Gorbatschow laut 'Tass‘, in einer erneuerten Gesellschaft könne die Partei nur dann eine Avantgardefunktion erfüllen, wenn sie eine demokratische Kraft sei. Außerdem werden die Delegierten die neuen Parteistatuten und die Unabhängigkeitserklärung der KP Litauens prüfen. Trotz lauter Forderungen nach Öffentlichkeit tagt das ZK hinter verschlossenen Türen. Nach Angaben von Sitzungsteilnehmern regte Gorbatschow die Abschaffung des Postens des Generalsekretärs der Partei an, den er zur Zeit selbst bekleidet. Stattdessen solle ein Parteivorsitzender mit zwei Stellvertretern die Partei führen. Gorbatschow habe die ZK-Mitglieder aufgefordert, die Realität zu sehen, wonach es in der UdSSR bereits de facto ein Mehrparteiensystem gebe. Insgesamt wurde die Atmosphäre als sehr „lebhaft“ beschrieben, direkte Kritik an den Vorschlägen des Generalsekretärs hätte es nicht gegeben. Zeitgleich mit dem Beginn des Plenums veröffentlichte die 'Prawda‘ ein Gespräch Gorbatschows mit Bergarbeitern. Darin meinte er, erst jetzt beginne die „wahre Perestroika“, und „nicht jeder ist erfreut darüber, daß überall Bewegung herrscht“. Persönlich denke er, daß das die Perestroika retten werde. Es sei der Punkt erreicht, an dem der politische Prozeß beschleunigt werden müsse.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen