: Mehr Markt bringt auch mehr Skepsis
■ In der Evangelischen Akademie Meißen trafen DDR-Journalisten ihre konkurrenzgestählten West-Kollegen
Droht den Medien in der DDR der Totalausverkauf an die Bundesrepublik? Oder erhalten sie nach jahrzehntelanger Gängelung und Zensur die Chance zur eigenständigen Entwicklung? Einem dritten Weg womöglich - zwischen der Bevormundung durch den ostdeutschen Staat und der Abhängigkeit vom westdeutschen Kapital?
Diese Frage stand im Mittelpunkt der ersten deutsch -deutschen Medientagung am vorletzten Wochenende in der Evangelischen Akademie Meißen. Drei Tage lang brachen Verleger und Journalisten aus der Bundesrepublik eine Lanze für die freie Presse des Westens und für den Markt, der so freie Medien in einer so bunten Vielfalt überhaupt erst hervorgebracht hat. Drei Tage lang artikulierten Redakteure, Drucker und Mediengewerkschafter aus der DDR ihre Bedenken gegenüber einer Wettbewerbswirtschaft a la Springer, Bauer, Burda & Co.
Fritz Pleitgen, fünf Jahre lang ARD-Fernsehkorrespondent in Ost-Berlin, faßte seine Tagungseindrücke so zusammen: „Man will hier nicht unter das Glücksrad West geraten. Es offenbaren sich Ängste vor der Bullenstärke des Westens. Ängste aber auch vor der eigenen Schwäche und auch Ängste vor dem Neuen.“
Eigene Konzepte für ihre Medienzukunft - eine Zukunft ohne Regenbogenpresse, Pornozeitschriften und gewaltverherrlichende „Schundliteratur“ - haben die Medienschaffenden in der DDR allerdings noch nicht. Klar ist für sie nur: Ein Zurück zur Vergangenheit soll es nicht mehr geben.
„Eine Zensur findet nicht statt.“ Wie dieser Paragraph aus der DDR-Verfassung noch am 8.November gehandhabt wurde, dafür ein Beispiel: Allen Zeitungen wurde eine „gemeinsame Mitteilung über die Bewertung der jüngsten Ereignisse“ ins Haus gebracht. Über die Demonstrationen in Dresden hieß es da: “... haben sich in den letzten Tagen größere Gruppen junger Menschen zu rowdyhaften, staatsfeindlichen Aktionen zusammengerottet. Sie haben auf dem Hauptbahnhof und in der Innenstadt Einrichtungen und Anlagen verwüstet.“
Was die Zensur jeden Tag aufs neue für die LeserInnen bedeutete, schilderte Lutz Borgmann, Redakteur der evangelischen Sonntagszeitung 'Potsdamer Kirche‘: „Die zentralistisch gelenkte Parteienpresse war auf den ersten Seiten so uniform, daß es zwischen 'Neues Deutschland‘ und 'Märkische Volksstimme‘, zwischen 'Neue Zeit‘ und 'Dresdner Union‘ nur eine Zeitdifferenz von 24 Stunden beim Abdruck der staatlich verordneten Meldungen und Leitartikel gab.“
Auch die Kirchenpresse - fünf evangelische Wochenblätter erscheinen in der DDR - stand unter scharfer Beobachtung des Presseamtes. Sobald es nach allgemeinpolitischer Betätigung roch, wurde sogar die Dokumentierung von Synodenbeschlüssen untersagt. Die letztjährige Osterausgabe der 'Berliner Kirchenzeitung‘ etwa erschien mit großen weißen Flecken und Auslassungen.
Daß sich die DDR-Tagungsteilnehmer dennoch nicht mit Hurra -Rufen zum Medien-Markt-Modell der Bundesrepublik bekannten, hatten sich die westdeutschen Fachleute durch zum Teil anmaßende Äußerungen selber zuzuschreiben. Gert Schulte -Hillen etwa, der Vorstandsvorsitzende des Gruner und Jahr -Verlages, machte in Meißen unumwunden deutlich, daß ihn in der DDR „vor allem die Geschäfte reizen“. Und der stellvertrertende 'Zeit'-Chefredakteur Robert Leicht, nach eigener Einschätzung ein „radikaler Liberaler“, tat Proteste von DDR-TeilnehmerInnen gegen einen allzu raschen Einmarsch westdeutscher Medienkonzerne als unbegründet ab. Der Markt, so Leicht, werde die Anbieter schon kontrollieren und für die gebotene Meinungsvielfalt sorgen.
Zur kurz geriet in der Evangelischen Akademie Meißen die Diskussion darüber, ob ein dritter Weg in die DDR -Medienlandschaft nicht vielleicht doch gangbar ist. Dabei gab - und gibt - es in der Praxis durchaus einige entsprechende Ansätze. So arbeitet in Dresden seit acht Wochen eine von Regierungs- und Oppositionsvertretern paritätisch besetzte Kommission an der Neustrukturierung des kommunalen Presseangebotes - ganz ohne bundesdeutsche Kapitalspritzen. Und einen ersten Erfolg kann die Arbeitsgruppe bereits verbuchen: Die frühere Bezirkszeitung der SED ist zu einem journalistisch ansprechenden Blatt mit einer Vielfalt regionaler sowie globaler Themen umgestaltet worden, das souverän und kritisch nicht deutschtümelndem Patriotismus frönt, aber auch nicht die Irrungen des Realsozialismus nachträglich entschuldigt. Herausgeber sind weder Bertelsmann, Bauer noch sonst ein westlicher Mediengigant, sondern sind alle Gruppierungen der Stadtverordnetenversammlung.
Reimar Paul
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