: Neue Rhetorik oder ernsthafter Politikwechsel?
Weltbank entwickelt für das krisengeschüttelte Afrika eine neue Strategie / Hinter den neuen Schlagworten verbergen sich auch altbekannte Rezepte ■ Von Rainer Falk
Im Umgang mit ihren KritikerInnen ist die Weltbank nicht mehr so unflexibel wie einst. Doch neue Denkansätze gewinnen gegenüber den Orthodoxien der achtziger Jahre nur langsam an Boden. Der jüngste Afrika-Bericht der Bank verheißt dem notleidenden Kontinent in den nächsten 30 Jahren einen Übergang „von der Krise zu nachhaltigem Wachstum“ und propagiert einen verstärkten Konsultationsprozeß zwischen Geberorganisationen und afrikanischen Regierungen im Geiste „neuer und gleicher Partnerschaft“.
Der Bericht ist das vielleicht widersprüchlichste Politikdokument der Weltbank in den letzten Jahren: Auf der einen Seite wiederholt er die umstrittene Behauptung vom März letzten Jahres, wonach in den Ländern mit Anpassungsprogrammen ein Prozeß wirtschaftlicher Erholung eingesetzt habe, und unterstreicht in bekannter Monotonie die Notwendigkeit von Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung. Auf der anderen Seite spricht sich der Bericht wie kein anderes Weltbank-Dokument zuvor für die stärkere Berücksichtigung sozialer und ökologischer Zielstellungen in Reformprogrammen aus.
Dem Wandel in der Weltbank-Philosophie stehen freilich noch starke Kräfte entgegen. Immerhin jedoch findet die von der UN-Wirtschaftskommission für Afrika (ECA) und der Kinderhilfsorganisation UNICEF erhobene Forderung nach einer Entwicklungsstrategie, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, im Vorwort die explizite Unterstützung des Weltbank -Präsidenten Barber Conable.
Befördert wurde diese strategische Neuorientierung von einer im letzten Sommer veröffentlichten Studie des ECA, die, glaubt man der 'Financial Times‘, „wie ein Stich ins Wespennest“ gewirkt hat, indem sie die Zweifel an der Tragfähigkeit der Strukturanpassungspolitik in Afrika bekräftigte und die Argumente der Vertreter einer neuen Denkrichtung in der Bank unterstützte. Vor allem in einem Punkt kann sich die ECA jetzt bestätigt fühlen: Niemals zuvor ist in einem Weltbank-Bericht die Dramatik der wirtschaftlichen und sozialen Krise des Kontinents in so drastisch-realistischen Farben analysiert worden.
Von der Krise...
Für die Zeit von 1961 bis 1987 konstatieren die Weltbank -Autoren ein jahresdurchschnittliches Wachstum von 3,4 Prozent in Afrika, nur wenig mehr als das Bevölkerungswachstum. Im Zeitverlauf betrachtet, zerfällt dies in eine Phase steigenden Pro-Kopf-Einkommens in den sechziger Jahren, eine Periode der Stagnation in den siebzigern Jahren und ein abnehmendes Pro-Kopf-Einkommen von 1981 bis 1987. Der landwirtschaftliche Output wächst seit 1970 mit durchschnittlich 1,5 Prozent deutlich geringer als die Bevölkerung. In den letzten Jahren kommt in vielen Ländern eine Tendenz zur Deindustrialisierung hinzu. Während sich der Anteil Afrikas an den Weltmärkten seit 1970 um fast die Hälfte verringert hat, ist die Auslandsverschuldung seither um das 19fache gestiegen und hat die Region (mit einer Schuldendienstrate von 47 Prozent im Jahre 1988) zur höchstverschuldeten der Welt gemacht.
„Die Krise“, so hebt der Bericht hervor, „trifft die Lage der Menschen besonders hart. In mehreren Ländern sind die Ausgaben für soziale Dienstleistungen stark gefallen, die Einschulungsraten sind rückläufig, die Ernährungslage verschlechtert sich, und die Kindersterblichkeit ist nach wie vor hoch. Auch die offene Arbeitslosigkeit in den Städten, vor allem unter ausgebildeten Jugendlichen, wächst.“ Dies gehe einher mit einer Zerstörung langfristiger produktiver Kapazitäten des Kontinents infolge sich beschleunigender Wüstenbildung und Entladung und einem Zerfall und Niedergang elementarer gesellschaftlicher Institutionen.
... zum Wachstum?
Die Weltbank-Autoren konzedieren eine „geteilte Verantwortung für die Krise“, geben aber in ihrer Analyse letztlich der abnehmenden Effizienz der Investitionen und dem Bevölkerungswachstum die Hauptschuld für die Misere: „Viele Länder, besonders die ärmeren, haben unter ernsten extremen Schocks gelitten. Aber der niedrige Ertrag der Investitionen ist der Hauptgrund für Afrikas jüngsten Niedergang.“ Und dies, obwohl die Reallöhne seit 1980 um ein Viertel gefallen sind, wie der Bericht einräumt. Die Unattraktivität für Investoren werde noch gesteigert durch „die sich verschlechternde Qualität der Regierung, die durch bürokratische Obstruktion, sich ausbreitende Rentenmentalität, schwache Rechtssysteme und eigensüchtige Entscheidungspraxis auf die Spitze getrieben wird“.
Insoweit hätten die Weltbank-Experten also genügend Faktenmaterial zusammengestellt, um sich auch explizit zu der Schlußfolgerung durchringen zu können, daß die fast allenthalben auf dem Kontinent durchgeführten Strukturanpassungsprogramme nicht greifen. Statt dessen trägt die vorgeschlagene „neue Entwicklungsstrategie“ an vielen Stellen das janusköpfige Gesicht des Sowohl-als-auch: Anpassung an den Weltmarkt mittels einer „realistischen Wechselkurspolitik“ und Vermeidung von Schutzzöllen ebenso wie Konzentration auf den Schutz der Armen; Armutsbekämpfung ebenso wie Unterstützung der Privatinitiative durch einen Staat, der nicht mehr selbst als Unternehmer auftritt.
Der Bericht stellt minimale Wachstumsziele auf, die er vor dem Hintergrund des düsteren Krisenbildes verständlich selbst als ambitiös beschreibt, die der Kontinent in den Jahren bis 2020 aber erreichen müsse, wenn der Hunger bekämpft und die wachsende Bevölkerung mit Jobs und Einkommen ausgestattet werden soll: mindestens vier bis fünf Prozent für die Gesamtwirtschaft, vier Prozent pro Jahr für die Landwirtschaft und sieben bis acht Prozent für die Industrie, die im Zeichen von Deregulierung, Privatisierung und neuen günstigen Rahmenbedingungen einen Neuanfang machen soll. Dieses Wachstum müsse jedoch nachhaltig und ausgewogen sein, „nachhaltig“, weil nur durch eine ernsthafte Umweltpolitik die natürlichen Ressourcen und damit wesentliche produktive Kapazitäten des Kontinents erhalten werden können, und „ausgewogen“ (equitable), weil anders die politische Stabilität langfristig aufs Spiel gesetzt werde.
Das neue Zauberwort der Weltbank und der Schlüssel zu dieser verheißungsvollen Zukunft lautet „good governance“: „Afrika braucht nicht einfach weniger Regierung, sondern bessere Regierung - eine Regierung, die ihre Anstrengungen weniger auf direkte Interventionen und mehr darauf konzentriert, andere dazu in die Lage zu versetzen, produktiv zu sein.“ Von zentraler Bedeutung sei es, in die Menschen selbst zu investieren: Bevölkerungspolitik, Basisgesundheitsvorsorge, Beseitigung des Hungers, Bildungspolitik, Sozialprogramme.
Doch wie wenig die Bank durchdacht hat, welche neuen Politikinstrumente und Maßnahmen für eine Versöhnung der „Anpassung“ mit der notwendigen Transformation der afrikanischen Gesellschaften zu mehr Gleichheit erforderlich sind, zeigt ihr Plädoyer für Kostendek kung, Privatisierung, Selbstfinanzierung und Subsidiarität im Bildungs- und Gesundheitswesen - Strategien, die bis heute selbst in industrialisierten Länder nicht funktioniert haben.
Gleichermaßen problematisch - und geradezu diametral zu der von der ECA unter anderem geforderten Umkehr der Entwicklungsprioritäten hin auf die interne Dynamik - ist die ungebrochene Orientierung der Bank auf eine Steigerung der Agrarexporte des Kontinents, weil hier - eine entsprechende Diversifizierung vorausgesetzt - durch die Produktion von Saison-Früchten, Blumen, Gemüse am ehesten „unmittelbare komparative Vorteile“ wahrgenommen werden könnten. Im Bergbausektor hält der Bericht jährliche Wachstumsraten von fünf Prozent für machbar, wenn es gelänge, durch den Abbau von Restriktionen privates Investitionskapital in Höhe von einer Milliarde Dollar pro Jahr für Explorations- und Entwicklungszwecke anzulocken.
Beim derzeitigen Tiefstand von Wachstum und Investitionen erfüllt das Hantieren mit solcherlei Zielmargen, so darf vermutet werden, wohl weniger die Funktion realistischer Vorgaben, sondern eher die eines Lockmittels, die von der Bank angebotenen Konzepte zu übernehmen. Natürlich ist die Kritik an Korruption und Demokratiedefiziten in Afrika auch dann gerechtfertigt, wenn sie von derselben Institution vorgetragen wird, die mit derlei Regimen in der Vergangenheit gut zusammenarbeitete. Der Ruf nach „guter Regierung“ reflektiert vielmehr gerade die wachsenden Zweifel auch innerhalb der Bank, ob dies die richtigen Partner zur Umsetzung von Strategien sind, die die Bezeichnung „Entwicklung“ auch nur annähernd verdienen. Dahinter steht das objektive Problem der mangelnden „Internalisierung“ von Reformprogrammen, dem mit wachsender Aushöhlung von Souveränität im Zeichen immer neuer, von außen aufgezwungener Konditionalität - und sei es als „good governance“ - nicht beizukommen ist.
Der vollständige Beitrag wird in der nächsten Ausgabe 'Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung‘ erscheinen. Der Informationsbrief ist zu beziehen bei: ASK, Hamburger Allee 52, 6000 Frankfurt 90
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